zum Hauptinhalt
Zeitungsleser in einer Bar in der Toskana.

© imago

Italiens zweitgrößte Zeitung: Bedrohter Chefredakteur wird rausgeworfen

Unbekannte bedrohen ihn seit Monaten, jetzt wirft ihn der neue Eigentümer raus. Nach nur 14 Monaten muss Carlo Verdelli "La repubblica" verlassen.

Nach nur 14 Monaten im Amt ist der Chefredakteur einer der beiden großen italienischen Zeitungen entlassen worden. Ein Wechsel auch der journalistischen Leitung von „La repubblica“ war zwar nach dem Eigentümerwechsel erwartet worden. Im Dezember hatte  Exor, die Familienholding der Auto-Dynastie Agnelli, eine Mehrheitsbeteiligung an der Zeitung erworben. Die Umstände des Rauswurfs von Carlo Verdelli sind allerdings bemerkenswert und veranlassten die Redaktion von Repubblica, einen Tag lang zu streiken. Am heutigen Freitag erschien weder das gedruckte Blatt noch wurde die Website aktualisiert. "Repubblica" kämpft wie die Presse allgemein mit einer stetig sinkenden Auflage; auch Verdelli hatte den Abwärtstrend nicht aufhalten können.

Falsche Traueranzeige auf Twitter

Der 62-jährige Verdelli hatte monatelang Todesdrohungen erhalten und stand deswegen seit Mitte März unter Polizeischutz.  Sie hatten begonnen, nachdem Repubblica ein Interview mit Graziano Delrio veröffentlicht hatte, dem Fraktionschef des sozialdemokratischen PD. Der hatte darin von seiner Regierungskoalition mit der Fünf-Sterne-Bewegung gefordert, die Migrations- und Sicherheitsgesetze des  früheren Innenministers und Chefs der rechtsextremen Lega Matteo Salvini  vollständig rückgängig zu machen. Mit ein paar Milderungen sei es nicht getan. Die Schlagzeile dazu auf der ersten Seite von Repubblica lautete  „Cancellare Salvini“, was sich sowohl als „Salvini streichen“ wie auch „auslöschen“ lesen lässt. Die jüngste Drohung gegen Verdelli am 17. April war eine auf Twitter publizierte Todesanzeige, in der von seiner „Auslöschung“ die Rede war. Als sein Todestag war der 23. April vermerkt. Nun haben die neuen Eigentümer Verdelli exakt an jenem Tag vor die Tür gesetzt.

Gefeuert am Tag, an dem man ihn "auslöschen" wollte

Verdellis Entlassung, so die Streikerklärung seiner bisherigen Redaktion, sei nicht nur die die erste Entscheidung des neuen Eigentümers. Sie treffe das Blatt auch mitten in den Schwierigkeiten der Pandemie-Krise. Dass dies am von den anonymen Hassern gewählten Tag geschehe, sei „ein ebenso bestürzendes Timing“.

[Wenn Sie alle aktuellen Entwicklungen zur Coronavirus-Krise live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere runderneuerte App, die Sie hier für Apple-Geräte herunterladen können und hier für Android-Geräte.]

Tatsächlich steht der Verdacht im Raum, nicht nur Verdellis bisher namenlosen Stalkern, sondern auch dem Agnelli-Enkel John Elkann habe dessen politische Richtung nicht gepasst. Vor Verdelli war das 1976 gegründete linksliberale, aber staatsunabhängige Blatt in Richtung  erheblicher Staatsfrömmigkeit gekippt; das hatte der neue Chef seit Anfang 2019 vorsichtig korrigiert. Seinen Rauswurf intonierte die neue Führung mit maximaler Kälte: „Carlo Verdelli ist nicht mehr Chefredakteur von La Repubblica“ lautete die erste kurze Meldung auf der Website, noch bevor sein Nachfolger bekanntgegeben wurde. Das wird der 55 Jahre alte Maurizio Molinari, der bisher La Stampa führte. Das Turiner Blatt, das fast ein Jahrhundert lang den Agnellis gehörte, ist nach einer kurzen Pause inzwischen erneut in ihrem Besitz. Die Familienholding hält auch mehr als 43 Prozent am britischen „Economist“. 

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false