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Medien: Jolo exklusiv: Es war nicht umsonst

"Es sollte ein Traumurlaub werden", sagt Johannes B. Kerner routiniert in die Kamera.

"Es sollte ein Traumurlaub werden", sagt Johannes B. Kerner routiniert in die Kamera. Im Studio ist es still, es gibt kein Saalpublikum. Neben dem Moderator sitzen nur die Wallerts, jene Familie, die nach 140 Tagen Geiselhaft in den Händen der Abu-Sayyaf-Rebellen wieder in Deutschland ist. Bei "Kerner Spezial" im ZDF waren sie wieder vereint - am 13. September, nur wenige Tage nach Marc Wallerts Freilassung auf der Insel Jolo. Ganz exklusiv.

Normale Mediengeschichten hören an diesem Punkt auf. Denn nach jedem bewegenden Ereignis wird die Verwertungsmaschine von Fernsehen, Rundfunk und Presse in Gang gesetzt. Und danach ist die Mediengeschichte zu Ende. Normalerweise.

Bei den Wallerts ist das anders. Denn die Geisel-Familie wurde für viel Geld aus dem Dschungel befreit. Und nun hat sie selbst Kapital aus ihrer Geschichte geschlagen. Andere Geiseln fordern öffentlich Anteile an den Honoraren für die Exklusiv-Storys. Und damit beginnt eine neue Mediengeschichte.

Fragen sind aufgetaucht, die niemand gerne beantwortet. Die Produktionsleiterin der "Johannes B. Kerner"-Show, Jessica Wiedenmann, will "Spekulationen um die Gage nicht kommentieren". Immerhin räumt sie ein, dass die Wallerts "nicht umsonst" aufgetreten seien. Beim ZDF will man gar nichts mit der Sache zu tun haben und verweist an Kerners Produktionsfirma.

Auch die "Stern"-Redaktion, die bislang drei Folgen eines "Wallert-Tagebuches" veröffentlichte, gibt sich wortkarg. Auslandschef Alfred Welty schweigt über die Entlohnung. Er spricht lediglich von einem "angemessenen, branchenüblichen Honorar". Aus dem Gruner & Jahr-Verlag wurde unterdessen bekannt, dass der "Stern" 130 000 Mark für die Story bezahlt haben soll. Einen Vorvertrag hatte Werner Wallert noch während der Geiselhaft abgeschlossen. Das "Stern"-Team vor Ort stellte ihm Kamera und Filme zur Verfügung. Und installierte, gewissermaßen als Vorab-Dankeschön, mehrfach eine Satellitentelefon-Standleitung von Jolo nach Göttingen zu Sohn Dirk, der seine Sicht der Dinge währenddessen täglich bei Sat 1 kundtat. Nach seiner Freilassung musste Werner Wallert die belichteten Filme vor dem Zugriff der philippinischen Armee retten. Die Soldaten hätten "nachdrücklich" auf die Herausgabe des Materials bestanden, berichtete Wallert. Dies habe er aber "genauso nachdrücklich" abgelehnt.

In den Mittelbergring, wo Familie Wallert wohnt, ist der Alltag eingekehrt. Längst haben Nachrichtenagenturen und Hörfunkstationen ihre Reporter aus dem Göttinger Vorort Geismar abgezogen. Auch die Fernsehsender mit ihren Übertragungswagen und Kamerateams sind verschwunden.

Was sollten sie auch berichten? Es gibt keine Krankheiten, keine nachträglichen Nervenzusammenbrüche, keine sichtbaren Familienkonflikte. Marc Wallert ist zurück in Luxemburg, bei seinem Job in einer Firma für Unternehmensberatung. Vater Werner unterrichtet am Theodor-Heuss-Gymnasium Erdkunde, und er ist, sagen seine Schüler, "eigentlich nett wie immer". Auch Renate Wallert überlegt, ihre Arbeit als Musiklehrerin an einer Göttinger Grundschule wieder aufzunehmen. Ein bisschen Normalität, nach der sich die Familie nach dem Rummel um ihre Heimkehr gesehnt hatte, scheint bereits zwei Wochen später erreicht.

Damit das so bleibt, haben die Wallerts ihre Anrufbeantworter auf Dauerbetrieb geschaltet. Auch bei der kürzlich zugeteilten Geheimnummer gibt es keinen Anschluss, dringliche E-Mails werden nicht beantwortet. Ein paar Nachfragen haben einige Medienleute da nämlich doch noch, seitdem das Geld der Familie ein Medienthema ist. "Wallerts verdienten mit unserem Leid, wir wollen was davon haben", hatte die "Bild-Zeitung" am 22. September eine französische Ex-Geisel zitiert. Seitdem ist Normalität für die Wallerts nur ein Wunschtraum.

Bei aller Neugier auf Einzelheiten, bei allem Frust auch über das ihnen vorenthaltene Interview, äußern manche Journalisten Verständnis für die Familie und ihren Umgang mit dem Geld. Er finde es "okay, dass die Familie ihre Geschichte zwei Mal für Geld statt hundert Mal umsonst" erzählt habe, meint ein Zeitungsredakteur in Göttingen. Und ebenso sei es Ordnung, "wenn sie der Öffentlichkeit nicht über jede Mark Rechenschaft ablegt".

Was passiert nun mit dem Geld? Mit einem Teil will die Familie die ihr entstandenen Unkosten begleichen. "Dirk hat uns Geld und Pakete geschickt", hatte Werner Wallert erläutert. "Jedes 800 Mark teuer und immer dreifach, denn höchstens eins kam an." Einen weiteren Teil ihres Honorars hat die Familie der evangelischen Stephanus-Kirchengemeinde in Göttingen gespendet. Das Geld soll zur Renovierung der altersschwachen Orgel verwendet werden.

Eine Überweisung an das Auswärtige Amt steht möglicherweise auch noch ins Haus. Ein Außenamtssprecher bestätigte am Mittwoch, dass das Ministerium "zu gegebener Zeit und auf der Grundlage der gesetzlichen Vorschriften" prüfen wird, ob sich Familie Wallert an den beträchtlichen Kosten beteiligen müsse. Präziser wollte sich der Sprecher nicht äußern. Er betonte allerdings, dass bei der Prüfung "der relativ komplizierten Frage keinerlei Zusammenhang hergestellt wird" zwischen den Kosten und den Medien-Erlösen der Familie Wallert.

"Ganz klar ist: das Auswärtige Amt erhebt keinen Anspruch auf einen Anteil an den Honoraren," betonte der Mitarbeiter des Ministeriums. Die Untersuchung sei unabhängig von der finanziellen Situation der Göttinger Familie. Zu den Wallerts bestehe ein "sehr guter und offener Kontakt". Bislang gebe es keinen Präzedenzfall für eine solche Untersuchung: "Jeder Fall, auch dieser, ist ein Einzelfall". Eine Prognose über die abschließende Regelung würde sich deshalb verbieten. Die Geschichte um die Wallerts, so scheint es, ist noch nicht zu Ende.

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