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Journalismus: Wahrheitssucher

Undercover-Reportagen und mediale Vorurteile: Günter Wallraff und Gisela Friedrichsen im Gespräch.

Die US-Zeitschrift „The Atlantic“ druckte in ihrer Oktober-Ausgabe eine aufsehenerregende Verteidigung des unabhängigen Journalismus, der von Bloggern und parteiischen Journalisten bedroht würde: „Guter Journalismus“, so hieß es dort, „ist machtvoll, weil er nicht nach Macht strebt, sondern nach Wahrheit.“ Und weiter: „Diejenigen, die ihn als Vehikel für ein Produkt, eine Partei oder eine Ideologie verstehen, mindern seinen Einfluss.“ Der Appell ist auf Deutschland übertragbar, wo Journalisten zunehmend in die Rolle von Dienstleistern gedrängt werden. Zwei, die in diesem Sinne immer noch machtvoll, weil auf der Suche nach Wahrheit sind, sind Günter Wallraff und Gisela Friedrichsen. Wallraff, der Kölner Enthüllungsreporter, der kürzlich als Schwarzer verkleidet und mit versteckter Kamera durch Deutschland reiste. Und Friedrichsen, die langjährige Gerichtsreporterin des „Spiegels“, die auch spektakulärste Prozesse mit beispielloser Distanz und analytischer Schärfe begleitet.

Dass beide zuletzt unter Beschuss gerieten und ihre Arbeit als parteiisch kritisiert wurde, ergab den Reiz ihres Aufeinandertreffens an ungewöhnlichem Ort: In der Neuen Nationalgalerie findet parallel zur Ausstellung „Deutschlandbilder“ von Thomas Demand eine Vortragsreihe statt. Wallraff und Friedrichsen sollten dort nun über „Tat und Nachricht – Worüber berichten und zu welchem Zweck?“ diskutieren. Leider förderten sie wenig Erhellendes zutage. Friedrichsen referierte den Justizskandal im Fall Pascal, dessen Verschwinden 2001 in Saarbrücken zu einem der größten Prozesse über Kindesmissbrauch in Deutschland geführt hatte. Über das Verfahren hat Friedrichsen ein Buch geschrieben, in dem sie die mediale Vorverurteilung der 13 Angeklagten und die Fahrlässigkeit der Staatsanwaltschaft aufdeckte. „Emma“-Chefin Alice Schwarzer hat Friedrichsen für das Buch massiv angegriffen und ihr vorgeworfen, das Gericht beeinflusst und stets die Position der männlichen Täter vertreten zu haben. Friedrichsen sei verantwortungslos, juristisch borniert und journalistisch unprofessionell. Von diesen Vorwürfen ist an diesem Abend nicht die Rede. Vielleicht wirkt Friedrichsen zu unnahbar für Nachfragen aus dem Publikum.

Ganz anders Wallraff. Er plaudert drauflos: Über die Undercover-Reportagen in seinem neuen Buch „Aus der schönen neuen Welt – Expeditionen ins Landesinnere“. Er liest aus einem Text, der seine Erfahrungen als schwarz angemalter Mann in Deutschland zusammenfasst, und lässt nicht unerwähnt, dass der dazugehörige Film „Schwarz auf Weiß“ scharf angegangen worden ist. Hauptkritik: Wallraff provoziere bestimmte Reaktionen, sei eben nicht neutral, sondern mache sich zum Vehikel der eigenen Vorurteile. Da stellte sich die Frage: Was ist Wahrheit? Wie findet man sie, wie stellt man sie dar? Und würden Wallraffs Methoden vor Gericht Bestand haben? Das wäre ein interessantes Thema für die Gerichtsreporterin Friedrichsen gewesen. Stattdessen wird alles, was die beiden Journalisten berichten, für bare Münze genommen. Zu einem der Wahrheit verpflichteten Journalismus gehört eben auch ein Publikum, das diesen einfordert. 

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