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Richterin Corinna Kleist (Martina Gedeck) legt sich im Film mit einem arabischen Dealer und seinem Clan an.

© ARD

Jugendrichterin Heisig: Martina Gedeck hält den ARD-Film „Das Ende der Geduld“ zusammen

„Das Ende der Geduld“ mit Martina Gedeck basiert auf dem gleichnamigen Buch der Berliner Jugendrichterin Kirsten Heisig, die sich im Juni 2010 das Leben nahm.

Nahaufnahme. Man sieht ein irritierend doppeldeutiges Gesicht, es lächelt schief und ist gleichzeitig wild entschlossen. Die Frau, der das Gesicht gehört, sitzt auf einem Podium über ihrem spärlichen Publikum im Bürgersaal Kreuzberg, ein paar Frauen mit Kopftuch, manche verschleiert. Die Kamera zoomt leicht von unten heran, und aus dem Mund des nun grell ausgeleuchteten Gesichts kommt eine in sanftem Ton versteckte Warnung an die türkischen und arabischen Mütter: „Wenn ihr nichts tut, dann bringe ich eure Kinder ins Gefängnis.“

Diese Szene aus „Das Ende der Geduld“, den die ARD im Rahmen ihrer Themenwoche zur Toleranz zeigt, ist einer von vielen Momenten, in denen einem der Atem stockt. Meistens passiert das dem Zuschauer, wenn es besonders spannend, brutal oder gefühlig wird. Hier geschieht es, weil man sich fragt, wie die Hauptdarstellerin, Martina Gedeck, es immer wieder schafft, nur über Körpersprache Beweggründe und Abgründe ihrer komplizierten Figur offenzulegen.

„Das Ende der Geduld“ basiert auf dem gleichnamigen Buch der Berliner Jugendrichterin Kirsten Heisig, die sich im Juni 2010 das Leben nahm. Zuvor war sie als engagierte Juristin bekannt geworden, die schnellere und einfachere Jugendstrafverfahren durchsetzen wollte. Heisig nutzte den Spielraum der Gesetzgebung für diese konsequente Rechtsauslegung. Ihr Vorhaben mündete im „Neuköllner-Modell“, das mittlerweile flächendeckend in Berlin Anwendung findet. Als Regisseur Christian Wagner mit diesem Filmstoff in die ARD-Gremien kam, wurde anfangs kurz darüber nachgedacht, die Hauptfigur, die im Film Corinna Kleist heißt, mit einer unbekannten Darstellerin zu besetzen. Dann entschied sich Wagner für einen Star, Martina Gedeck, und man darf wohl sagen, dass das die beste Entscheidung war, um das ganze Vorhaben zu stabilisieren. Gedeck hält diesen Film zusammen.

Kirsten Heisigs Lebensthema

Denn das Problem des Stoffes ist die große Komplexität des Sachthemas: Wie verhält sich eine Gesellschaft bei kriminellen Jugendlichen? Bei Kindern, die auf dem Weg sind, schon vor dem 14. Lebensjahr Intensivtäter zu werden – und die mit großer Mehrheit aus arabischen und türkischen Familien stammen? Das war nicht nur Heisigs Lebensthema, sondern ist oft heftiger Gesellschaftsdiskurs. Und dann ist da noch Heisigs eigenes Leben – und ihr Tod: noch mal sehr viel Stoff für einen Film.

Aus diesem Stoffknäuel entwickelt Wagner eine geradeaus und mit Tempo erzählte fiktive Geschichte (Drehbuch: Stefan Dähnert), in der er sich entscheidet, nahe beim Charakter seiner Hauptfigur zu bleiben. Aus ihrem Tun heraus wird das Sachthema als Drama inszeniert. Insofern ist der Film keine Gesellschaftsanalyse, sondern ein spannendes Porträt einer deutschlandweit bekannten Jugendrichterin. Diese Nahaufnahme gelingt, weil Gedeck ihre Figur völlig beherrscht und sehr genaue Kenntnis hat von den inneren Abgründen dieser Frau, die im wahren Leben niemand in ihrem Umfeld wahrnehmen wollte.

Wer keine Lust hat auf Gesellschaftsdrama, den unterhält der Film einfach gut. Nicht das schlechteste Kompliment fürs Fernsehen. Kleist alias Heisig legt sich mit einem arabischen Intensivtäter und seinem Clan an, der über Drogengeschäfte Teile des Neuköllner Kiezes beherrscht. Er hat einen kleinen Bruder, Rafiq (Mohamed Issa), der nichts lieber täte, als ihm nachzueifern. Den will Corinna Kleist retten, mit Härte, Konsequenz und sehr viel Herz für das Kind.

Heisigs Suizid wird nicht direkt gezeigt

Rafiq verliebt sich in ein deutsches Mädchen, macht ihr Geschenke. Sie sagt: „Ihr Türken kennt euch aus mit Frauen.“ Er: „Ich bin Araber.“ Sie: „Und ich die Susi …“ Diese kleinen Szenen mit tollen Jungdarstellern lassen einen ausruhen, bevor das Mädchen von Rafiqs Clan brutal vergewaltigt wird.

Heisigs Suizid wird nicht direkt gezeigt, das hat der Regisseur dem Witwer versprochen. Stattdessen treffen zum Schluss Kleist und Rafiq, er mit einem riesigen Schwert bewaffnet, noch einmal aufeinander. Showdown. Was aussieht wie die Untermauerung der unsinnigen Mordthese – im Internet kursieren bis heute Verschwörungstheorien –, ist ein genialer Erzählkniff. Die erste Reaktion nach dem Verschwinden der Kirsten Heisig war im realen Leben bei vielen: Die Araber haben sich gerächt! Das Ende projiziert diese Gedanken in die Fantasie der Zuschauer. Doch wer den Film sieht, Martina Gedecks abgrundtiefes Spiel, der weiß: Mord kann es nicht gewesen sein.

„Das Ende der Geduld“, Mittwoch. ARD, 20 Uhr 15

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