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Und Hollywood?  Fanny (Jutta Speidel) versteckt sich im ARD-Film vorm Gerichtsvollzieher. Auf Wohlfühlstimmung möchte sich die Schauspielerin aber nicht festlegen lassen.

© ARD Degeto/Barbara Bauriedl

Jutta Speidel im Porträt: Die Beinahe-Schwedin

Zwischen Wohlfühlstimmung und sozialem Engagement: Eine Begegnung mit der Schauspielerin Jutta Speidel, die mehr sein will als ein Publikumsliebling.

Die Hollywoodkarriere sollte für Jutta Speidel als Schwedin beginnen. Genauer gesagt als schwedische Geliebte von Avery Brundage, dem ehemaligen Präsidenten des Internationalen Olympischen Komitees (IOC). „Das muss ein ziemliches Dreckschwein gewesen sein“, sagt Speidel leichthin, während sie die letzten Salatblätter auf die Gabel spießt. Es ist ein sonniger Tag in Köln, deshalb wurde das Interview ins Freie verlegt. Café mit Domblick statt Hotellobby.

Es ist laut und turbulent, die Touristen und der Presslufthammer einer nahe gelegenen Baustelle überbieten sich gegenseitig, aber gegen Jutta Speidels Lachen kommen diese Nebengeräusche nicht an. Die höchste Dezibel-Zahl – nach rein subjektiver Messung – erreicht ihr Lachen an der Stelle, als es um Fußball geht.

Jutta Speidel ist eine Münchenerin durch und durch, da liegt die Frage nahe: Anhängerin der Roten oder der Blauen? „Ich war ein glühender Sechzger-Anhänger“, antwortet sie, „bis Radi Radenkovic nicht mehr im Tor stand.“

Gut gelaunte Schauspielerinnen in der Sonne zu interviewen, das ist ein Selbstläufer. Man bekommt fast nur entspannte Antworten. Das klingt dann zum Beispiel so: Was war die beste Zeit Ihres Lebens? „Jetzt momentan ist eine supergute Zeit.“ Jutta Speidel wirkt allerdings nicht so, als könne sie nur bei schönem Wetter Lebensfreude entwickeln. Oder als interessiere sie überhaupt nur die sonnige Seite. Richtig in Fahrt kommt sie beim Flüchtlingsthema.

Der fehlende Zusammenhalt in der Gesellschaft, das öffentliche Gerede, das dem Nationalsozialismus näher sei als der Demokratie, „das erschüttert mich bis ins Mark, das macht mich fassungslos“, sagt sie. Kürzlich hat sie in der SWR-Talkshow „Nachtcafé“ erklärt: „Wir schaffen das schon.“ Von Reaktionen weiß sie nichts, schon weil sie in den sozialen Netzwerken nicht unterwegs sei. „Es wäre mir auch egal.“ Jutta Speidel, die Grün-Wählerin, die mit ihrer SPD-Stimme den CSU-Oberbürgermeister Gauweiler zu verhindern half, bewundert jetzt Angela Merkel, CDU. „Wegen ihrer Standfestigkeit.“

Der „letzte Albtraum, der einer Familie passieren kann“

Dazu muss man Verschiedenes wissen: 1997 gründete Speidel in München den Verein „Horizont“, um obdachlose Kinder und deren alleinerziehende Mütter zu unterstützen. Seit 2005 finden Familien in einem eigenen „Horizont“-Haus vorübergehend Zuflucht, zurzeit bereiten die Vorsitzende Speidel und ihr Team den Bau eines zweiten Hauses vor. Zu den Frauen, die vom Verein betreut werden, zählten schon immer viele Migrantinnen.

Deren Probleme kennt Speidel deshalb nicht nur aus weiter Ferne. Sie kann unvermittelt zu einem zornigen Vortrag über „Grenzübertrittsbescheinigungen“ anheben. Damit setzen die Ausländerbehörden eine Frist zur freiwilligen Ausreise. Bis dahin sind Asylbewerber allerdings geduldet. „Stellen Sie sich vor, Sie leben mit drei kleinen Kindern seit Jahren in so einem Zustand“, ruft Speidel. Dies sei der „letzte Albtraum, der einer Familie passieren kann“.

Die Schauspielerin zählt nicht zu jenen Stars, die ihr Gesicht für eine gute Sache in die Kamera halten, um damit vor allem Eigenwerbung zu betreiben. „Horizont“ sei ein Fulltimejob, sagt Speidel. Sie kümmere sich bei der Planung des zweiten Hauses auch um Steckdosen, Dämmmaterial und Lichtdesign. „Und jetzt muss ich Geld auftreiben, und zwar richtig viel.“ Eine ihrer beiden Töchter arbeitet als Sozialpädagogin im „Horizont“-Haus, ihre 90-jährige Mutter ist Mitgründerin und Ehrenvorsitzende. Die Identifikation mit dem Projekt könnte kaum größer sein.

Storys über Jutta Speidel beginnen deshalb gerne mit Sätzen wie diesem hier aus der „Neuen Post“: „Sie spielt nicht nur starke Frauen im TV, sie steht auch im richtigen Leben mit beiden Beinen auf dem Boden.“ Das stimmt, wie vermutlich alles stimmt, was die „Neue Post“ zu berichten weiß. Dennoch steht die andere, überaus populäre Seite der Jutta Speidel in einem gewissen Kontrast zu ihrem bürgerschaftlichen Engagement, für das sie mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande und dem Bayerischen Verdienstorden ausgezeichnet wurde.

Fettnäpfchen, in die ich hineingelatscht bin

Die Komödien und Melodramen, in denen sie zu sehen ist, blenden gesellschaftliche Randlagen eher aus und verbreiten vornehmlich heitere, herzensgute Wohlfühlstimmung. Und als Speidel und der Italiener Bruno Maccallini ihre mittlerweile beendete Beziehung in Büchern und Filmen auskosteten, schien auch Speidels Privatleben zur öffentlichen Schmonzette zu werden.

Auf welche Erfahrung sie gerne verzichtet hätte? Auf keine, sagt sie sinngemäß. Fehltritte würden im Leben dazugehören, das „Rauskrabbeln“ sei eine wichtige Erfahrung. Kurz darauf korrigiert sie das Wort Fehltritte in „Fettnäpfchen, in die ich hineingelatscht bin. Die hatte ich genug in meinem Leben“. Zurzeit trommelt sie in Interviews für ihr nächstes Fernsehprojekt. Als quirlige, verkrachte Lebenskünstlerin wirbelt sie in zwei Erbschaftskomödien durchs ARD-Programm.

Die Titelheldin trägt den Namen der Schwester von Speidels Großmutter und benimmt sich so, wie man den Vornamen ausspricht: Fanny Steininger. Der Humor stolpert hier gerne über die Türschwelle ins Haus, aber Speidel strotzt vor Spielfreude. Vielleicht weil ihr diese Figur doch recht nahe ist. „Die scheißt sich auf gut Bayerisch nix“, sagt sie und lacht wieder. Soll heißen: „Es ist ihr wurscht, was andere über sie denken.“

Ein dreiviertelstündiges Interview genügt, und man wird den Eindruck nicht los, Jutta Speidel scheißt sich auch nix. Oder nicht allzu viel. Milde korrigiert sie die Behauptung, sie sei auf Komödien abonniert. Dann verweist sie auf ihre Theaterrolle in Stephen Kings „Misery“, auf die Rolle als Mörderin im „Alten“ und die vielen „schönen Dramen“. Speidel wünscht sich, mal eine Figur der Zeitgeschichte zu spielen („Auf die Vera Brühne wäre ich scharf gewesen“), aber da sind im deutschen Fernsehen die Iris Berbens dieser Welt vor.

Kaum Preise: Nicht einmal für „Fleisch“ (1979)

Selbst für Publikumslieblinge steht der TV-Himmel nicht völlig offen. Nur selten blitzt ein wenig Enttäuschung auf, zum Beispiel darüber, dass sie für ihr umfangreiches Filmschaffen „nicht so viele“ Preise bekommen hat. Nicht einmal für „Fleisch“ (1979), den legendären Thriller von Rainer Erler über ein Touristenpaar, das in die Fänge von Organhändlern gerät. Mit 25 bedeutete „Fleisch“ den Durchbruch für die Schauspielerin Speidel.

Und Hollywood? Die Rolle als Brundages schwedische Geliebte bekam Jutta Speidel nicht, obwohl sie dem Klischee einer Schwedin näher als alle Konkurrentinnen mit den wasserstoffblond gefärbten Haaren und den aufgeklebten Sommersprossen gekommen sei. Schon das dicke Drehbuch auf Englisch habe sie nicht verstanden. „Ich war so grottenschlecht, weil ich mich auch so unwohl gefühlt habe. Das war einfach nicht mein Ding“, erinnert sich die 62-jährige Münchenerin an ihr einziges Vorsprechen in den USA. Keine internationale Karriere, wenige Preise, na und? „Dafür habe ich immer Arbeit gehabt“, sagt Jutta Speidel.

„Fanny und die geheimen Väter“, ARD, Freitag, 20 Uhr 15; „Fanny und die gestohlene Frau“, ARD, 3. Juni., 20 Uhr 15

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