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Honeckers schönste Beine.  Das Aus für Hörfunk und Fernsehen der Ex-DDR beendete am 31. 12. 1991 das letzte sichtbare Symbol des „Kriegs der Systeme“. Hart gerungen wurde ums Überleben symbolträchtiger Einrichtungen wie dem „Fernsehballett“.

© imago images/Gueffroy

Kalenderblatt zum Staatsfunk der DDR: Der Letzte macht das Licht aus

„Sandmännchen“, „Aktuelle Kamera“, Fernsehballett – Adlershof adé: Vor 30 Jahren wurde der ehemalige Staatsfunk der DDR Geschichte.

Der Autor war Hauptabteilungsleiter beim NDR und nach seiner Zeit in Ostberlin Bereichsleiter in der RTL-Geschäftsführung. Markus Schöneberger hatte im Team des Rundfunkbeauftragten Rudolf Mühlfenzl die letzte Etappe im Kampf um eine neue Medienfreiheit in Ostberlin miterlebt.

31. Dezember 1991, Silvesternachmittag. Der unverkennbare Geruch des DDR-Allzweckreinigers Wofasept lag in der Luft, als ich Rudolf Mühlfenzl bei seiner letzten Runde durch das verlassene Fernsehgelände in Berlin-Adlershof begleitete. Scheinwerfer, Mikrofone, Technik, das meiste war abgebaut. Totale Stille empfing uns. Welch ein Kontrast zu den teils äußerst lautstarken Mitarbeiterversammlungen der letzten Monate!

Denn dem Rundfunkbeauftragten oblag die heikle Aufgabe, gemäß Artikel 36 des Einigungsvertrags die fast 40 Jahre staatlich gelenkten Sender der Ex- DDR bis zum Ende 1991 in demokratische und föderale Strukturen zu überführen. Das waren ursprünglich zwei Fernsehprogramme, vier Radiostationen, viele Sondereinrichtungen.

Hier in Adlershof hatte die junge DDR am 21. Dezember 1952 ihren ersten großen Sieg über den Klassenfeind im Westen gefeiert, weil man drei Tage schneller als der NWDR in Hamburg aus einer Baubaracke auf Sendung ging. Bald wuchs dort ein TV-Imperium von elf Studios, Synchronisation, Trick, Werkstätten, mehrstöckiger Hebebühne.

Und sogar einem Schwimmbassin „für Schiffsuntergangsszenen, um darin einen Haveldampfer zu versenken“, wie der erste Intendant stolz kundtat. Alles sollte mächtig, kolossal sein, man hatte große Pläne. Im Fundus sammelten sich schließlich 200 000 Einzelstücke, 50 000 Kostüme.

Dazu kam ein beachtliches Programmvermögen. Alleine bei den Film- und Serienrechten sichteten wir 3000 Titel – neben Erbauungsfilmen wie „Junge Pioniere lieben ihre Heimat“ oder „Die Frau im Aufbau des Sozialismus“ viele echte TV-Schmuckstücke.

„Ulbrichts Schimmer“ lästerten manche. Denn der Staatsratsvorsitzende Walter Ulbricht selbst gab die Direktive vor: „Unser Fernsehen muss zu einer kollektiven Propaganda werden, die Aufgaben des Agitators und Organisators übernehmen und ständige Verbindung zu den Arbeitern wie den Bauern herstellen!“ Bis ins Ruhrgebiet wollte man ausstrahlen, um alle vom Sieg des Sozialismus zu überzeugen.

Aber jetzt war es vorbei. Bereits am 11.11.1989, zwei Tage nach Maueröffnung, musste das Staatliche Komitee für Rundfunk zurücktreten. Am 5.Februar 1990 fasste die Volkskammer den „Beschluss über die Gewährung der Meinungs-, Informations- und Medienfreiheit“.

„Für diese Aufgabe kam nur jemand in Frage, der Prügel gewohnt ist.“

Doch was sollte aus den mächtigen Sendern werden, der Seele des SED-Staates? Der Tenor lautete: Erst durch eine freiheitliche Rundfunkordnung wird die friedliche Revolution vollendet. Der mit viel Skepsis empfangene neue Rundfunkbeauftragte Rudolf Mühlfenzl meinte nüchtern: „Für diese Aufgabe kam nur jemand in Frage, der Prügel gewohnt ist und nichts mehr werden will, weil er sich letztlich bei allen unbeliebt macht!“

Als erstes drängte die Frage: Wie lässt sich der Betrieb mit wöchentlich mehr als hundert TV-Stunden inmitten der Wendewirren aufrechterhalten? Aus Sorge, systemtreue Hardliner könnten die Sendeanlagen sabotieren, wurde diskret vorbereitet, bei einem „blackout“ blitzschnell auf ARD-Anstalten umzuschalten.

Sorgen berechtigt? Ein Kollege aus der DDR-Opposition berichtete etwa, man habe heimlich die Reifen seines Wagens gelockert. Er bemerkte dies erst, als er beim Fahren ins Schleudern geriet. Solche Erzählungen machten durchaus Eindruck.

Der Supergau trat jedoch nicht ein. Im Gegenteil: Viele waren erleichtert, dass die Zeit der Gängelung und Zensur vorbei war. Die Aufbruchstimmung war wohl nie größer als zu diesem Zeitpunkt. Die Ende 1990 neu aufgestellte DFF-Länderkette gewann rasch Popularität.

Die Nachrichtensendung „Aktuelle Kamera“, war nicht mehr länger „Trompete der Partei“, die „Informationen als Waffe einsetzte“, wie ein Redakteur aufatmete.

Mitarbeiter der jungen Radiowelle DT 64 berichteten früh live über die Montagsdemonstrationen. Das Jugendmagazin „Elf99“, im September 1989 erstmals ausgestrahlt, um die aufbegehrende Jugend für den DDR-Staat zurückzugewinnen, brachte bald mit systemkritischen Beiträgen neuen Wirbel. Nach 1992 versuchte RTLnoch das Magazin fortzuführen, jedoch verlor sich bald das Zuschauerinteresse. Schade. Denn spezielle Jugendformate fehlen seitdem auf den etablierten TV-Kanälen.

Jemand aus dem „Neuen Forum“ meinte damals zu mir: „Die verlogene Informationspolitik war wohl das Schlimmste, was unserem Volk angetan wurde“. Ein Chefredakteur erzählte: „Die Kontrolle war total. Selbst Details wie die Frisuren der Sprecher bedurften der Zustimmung. Die Gesichtsfarbe des Generalsekretärs war vorgeschrieben. Als er bei einer Festveranstaltung am 8. März 1989 aus seiner Sicht auf der Mattscheibe zu blass erschien, wurde mir Entlassung angedroht!“

„Schaffst Du Länder – brauchst Du Sender!’“

An die Spitze rückten in Fernsehen wie Hörfunk Mitte 1990 Intendanten, die sich in der Bürgerrechts- oder kirchlichen Friedensbewegung der DDR engagiert hatten. In dem kleinen Stab des Rundfunkbeauftragten hingegen dominierten erprobte „Medienwessis“, denn der Zeitdruck war enorm.

Früh stellte sich ein Grundsatzkonflikt. Viele wollten die DDR-Sender als Ganzes erhalten und von Berlin aus zentral die neuen Länder bedienen. Diese drängten auf „eigene Sender“. Vor allem Sachsen und Thüringen fühlten sich durch das ferne, alles dominierende Berlin jahrzehntelang benachteiligt. Schimpften die einen, das „bewährte Rundfunksystem der DDR werde zerschlagen“, forderten die anderen einen „demokratischen Neuaufbau" nach diesem Motto: ,Schaffst Du Länder – brauchst Du Sender!’“

Es fehlte nicht an Störmanövern, um die alten Strukturen zu erhalten, bis hin zu Forderungen, den Ostberliner DFF als drittes nationales System neben ARD und ZDF als „wichtiges Stück DDR-Identität zu sichern“.

Es kam anders, zum Glück. Am 31. Mai 1991 gründeten Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen nach dem Modell des NDR die Drei-Länder-Anstalt MDR. Brandenburg schuf zunächst den eigenen ORB, Mecklenburg-Vorpommern schloss sich nach einigem Hin und Her dem NDR-Verbund an. Aber wie kann ein demokratischer Neuanfang gelingen mit Leuten, die Jahrzehnte dem DDR-System treu gedient hatten?

Es hieß, 80 Prozent der ursprünglich 14 000 Senderangestellten waren SED-Mitglieder, davon etliche Informelle Mitarbeiter oder in hohen Funktionen der Staatssicherheit. So kam es im März 1991 zu der heiß diskutierten „Fragebogen-Aktion“.

Viele protestierten, die Wessis kommen, um uns abzuwickeln! Faktisches Ergebnis: Von etwa 9 500 Fragebögen waren 1 677 überprüfungsbedürftig und wurden von zwei Kirchenvertretern mit Empfehlungen versehen. 202 Personen hatten selbst Verbindungen zur Stasi angegeben. Entlassungen waren vielfach die Folge. Bei 627 Personen wurde empfohlen: „Keine Beschäftigung im Leitungsbereich“.

Später änderte sich die Perspektive auf das Reizthema. Wurde dem gelegentlich durchaus robust auftretenden Rundfunkbeauftragten zuerst vorgeworfen, er übe „Rachejustiz“, meinte MDR-Intendant Udo Reiter im Rückblick: Rudolf Mühlfenzl sei mit dem Ruf eines konservativen Hardliners gestartet, dann aber immer stärker Anwalt der Ost-Belegschaft geworden. Jedenfalls bekannte dieser offen: „Wenn ich alle entlasse, können wir auch kein Programm mehr machen.

Wieder ein Sieg des Sozialismus!

Man muss die Tür endlich aufmachen. Nicht alle haben Schuld auf sich geladen!“ Als vor allem beim MDR später Enthüllungen über ehemalige IM-Mitarbeiter Unruhe schufen, lautete der neue Vorwurf, man habe nach der Wende nicht genau genug hingeschaut.

Hart gerungen wurde um das Überleben so symbolträchtiger Einrichtungen wie dem Fernsehballett, abgestempelt als „Honeckers schönste Beine“. Oder dem legendären „Sandmännchen“, einst stolzer Beleg für die Überlegenheit der DDR.

Als nämlich der SFB für den 1. Dezember 1959 sein „Sandmännchen“ angekündigt hatte, schaltete Adlershof blitzschnell und konnte bereits am 22. November um 18 Uhr 54 seinen eigenen Gruß für die Kleinen starten. Wieder ein Sieg des Sozialismus!

Weniger erfolgreich waren Rettungsversuche für die neun Chöre und Orchester – obwohl Artikel 35 des Einigungsvertrages bestimmte, dass die „kulturelle Substanz der ehemaligen DDR keinen Schaden nehmen darf“. Das ZDF liebäugelte zwar mit dem Hörfunksender DS-Kultur als „Radiostandbein“, letztlich jedoch vergebens.

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Als ich am letzten Sendetag 1991 mit Rudolf Mühlfenzl noch einmal über das Gelände in Adlershof ging, stand nur noch jener Kobold in einem der leeren Regale: 24 Zentimeter groß, mit Bart und Zipfelmütze. Es war, als zwinkerte er uns zu: „Alles gut?“

Natürlich war in dieser dramatischen „Medienwende“ nicht alles gelungen. Aber dass sich in den neuen Ländern seitdem eine breit akzeptierte Rundfunklandschaft entwickeln konnte, ist nicht die schlechteste Bilanz – verglichen mit anderen Bereichen.

Markus Schöneberger

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