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Medien: Kamikaze gegen Auschwitz

Dokumentarfilme zum Holocaust sind meistens gekennzeichnet durch ihren getragenen Ton und ein ganz spezielles, unangreifbares Pathos. „Pizza in Auschwitz“ von Moshe Zimerman ist anders.

Dokumentarfilme zum Holocaust sind meistens gekennzeichnet durch ihren getragenen Ton und ein ganz spezielles, unangreifbares Pathos. „Pizza in Auschwitz“ von Moshe Zimerman ist anders. Das macht schon der Titel des Arte-Films deutlich. Es ist ein schräger, mal penetranter, mal trauriger Film, der auf fast kamikazehafte Art den Wahnsinn der Vergangenheit in die Gegenwart transportiert.

Danny Chanoch, ein aus Litauen stammender Jude, hat fünf Konzentrationslager und einen langen Todesmarsch überlebt. Heute ist der 74-Jährige ein glücklich verheirateter Familienvater und erfolgreicher Geschäftsmann in Israel. Der Film zeigt, wie er seine Kinder Miri (38) und Shagi (40) auf eine Reise durch seine Vergangenheit mitschleppt. Von klein auf hat er ihnen Geschichten über das Getto, Birkenau und Auschwitz erzählt. „Als Dreijährige hatte ich bei jedem Türklopfen Angst vor der SS, und im Traum bin ich über Stacheldraht geflohen“, erzählt etwa Miri. Widerwillig begibt sie sich zusammen mit ihrem orthodoxen Bruder auf eine sechstägige Fahrt durch vier Länder und fünf Konzentrationslager. „Ich bin gefangen in einer Holocaust-Realityshow“, sagt sie einmal, und bald wird deutlich, dass Vater und Tochter vor allem eines verbindet: ein sarkastischer Humor, der nichts und niemanden schont, am allerwenigsten die eigene Person.

„Pizza in Auschwitz“ ist ein chaotischer Film, was an seinem Protagonisten liegt. Danny Chanoch läuft fast ständig herum, die Kamera tut sich manchmal schwer, ihm hinterherzukommen. Er läuft und redet, macht Witze und erzählt grauenhafte Begebenheiten. Er lebt in seinem ganz eigenen Film. Ein bisschen rücksichtslos, ein bisschen irr. Das fängt harmlos an, wenn eine polnische Kellnerin fragt, ob man das Mineralwasser mit Gas oder ohne wolle, Gas koste extra. Es spitzt sich aber dramatisch zu, als eine Mitarbeiterin der Auschwitz-Gedenkstättenverwaltung nicht ungefragt gefilmt werden will und einen hysterischen Anfall bekommt, weil Danny ihr zusetzt. Er ist der Meinung, ein Holocaust-Überlebender habe in Auschwitz jedes Recht der Welt. So besteht er auch darauf, in „seiner“ ehemaligen Baracke zu übernachten. Und tatsächlich sitzt die Familie abends schließlich dort bei einem Stück Pizza. Unter Tränen sagt die Tochter dann die entscheidenden Sätze zu ihrem Vater: „Wir lieben dich, aber wir verstehen dich nicht. Wir werden dich nie verstehen. Und dafür solltest du dankbar sein. Oder wäre es dir lieber, wir hätten das Gleiche wie du durchmachen müssen, damit wir dich verstehen?“

„Pizza in Auschwitz“ ist die außerordentlichste Holocaust-Dokumentation des Jahres. Simone Schellhammer

„Pizza in Auschwitz“, Arte, 23 Uhr 30

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