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Medien: „Kann man mit Juden Quote machen?“

„Zucker“: Der Regisseur Dani Levy über die Probleme und die Freuden einer jüdischen Familienkomödie

Herr Levy, eine jüdische Komödie, was ist das?

Nicht unbedingt eine Komödie über Juden. Aber eine Komödie, die sich über jüdischen Humor definiert. Schauen Sie sich die jüdischen Witze an: Juden können mit sich schonungslos umgehen, politisch unkorrekt, selbstironisch. Jüdischer Humor betrachtet Menschen liebevoll, ist frech, aber ohne in die Klamotte abzugleiten. Eine jüdische Komödie ist eine Komödie, die sich dieses Humors bedient. Sie ist anders als andere Komödien.

Sind jüdische Komödien nur dann gut, wenn sie auch von Juden gemacht werden?

Nein. Aber als Jude hat man die größte Handlungsfreiheit, keine Probleme mit der Political correctness und kann weiter gehen als alle anderen. Man kann sogar antisemitisch sein. Das wäre für einen Nichtjuden unvorstellbar. Dieser Heimvorteil erlaubt es, Grenzen überschreiten zu können, die für andere unüberwindbar wären. Es kann natürlich passieren, dass es einem die eigenen Leute übel nehmen. Jackie Zucker, die Hauptfigur, gespielt von Henry Hübchen, entspricht sicher nicht dem Bild, das man sich im Allgemeinen vom typischen Juden macht. Auch nicht bei den Juden selbst.

Sie können bei den deutschen Zuschauern kaum Wissen über jüdische Sitten und Gebräuche voraussetzen. Wird Ihr Film auch eine Art Lehrfilm?

Eine Portion Aufklärung ist schon gewünscht. Ein Teil der Komik entsteht ja gerade durch die Unmöglichkeit, die strengen jüdischen Gesetze einhalten zu können. Der Zuschauer wird in einem Schnelldurchgang lernen, was alles in einem orthodoxen Haushalt beachtet werden muss. Das Schöne ist, dass wir deutschen Juden zusehen können, ohne dass im Hintergrund immer der Holocaust wie ein Schatten an der Wand aufleuchtet. Ich finde es sehr wichtig, Terrain zu schaffen, auf dem sich Deutsche und Juden ganz normal begegnen können.

Auf zu neuen Ufern?

Natürlich, aber ohne zu vergessen. Ich selbst komme aus einer Familie, in deren Geschichte der Holocaust „amtlich“ stattgefunden hat. Aber meine Generation hat den Krieg nicht mehr erlebt. Wir haben ganz andere Erfahrungen gemacht als die Generation unserer Eltern. In „Zucker“ erzähle ich deutsche Geschichte aus meiner Perspektive. Die Holocaust-Vergangenheit ist für die Familiengeschichte der „Zuckers“ ohne Bedeutung.

Sie sind der Erste, der etwas Neues versucht? Eine jüdische Komödie ohne Holocaust-Zeigefinger?

In Deutschland vielleicht, ja. Aber es war nicht leicht. Ich bin mit dem Stoff einige Jahre durch die Redaktionen getingelt, ehe der WDR zusagte. Da gab es schon erstaunliche Ängste. Ängste zum Beispiel, ob man mit Juden überhaupt Quote machen kann. Aber wir sind einfach dran geblieben .

Und wie haben Sie es am Ende geschafft?

Mit dem Argument, dass eine gute Geschichte, egal aus welchem Milieu, immer Erfolg haben wird. Aber wenn Sie mit Figuren kommen, die kontrovers handeln, dann müssen Sie Überzeugungsarbeit leisten.

Der liebe, sympathische Jude, der Witze reißt, der geht immer – aber der Jude mit Ecken und Kanten?

Meine Besetzung ist nicht umsonst schwer sympathisch, von Henry Hübchen über Hann elore Elsner bis zu Udo Samel. Da kann ich mir dann im Gegenzug eine Portion Boshaftigkeit leisten.

Haben Sie den Schauspielern einen Grundkurs in Sachen Judentum verpasst?

Mein Schwager, Sohn eines Rabbiners und Psychiater, der in Zürich lebt, hat uns beraten. Das jüdische Leben ist voller Regeln und Vorschriften. Und wir wollten keine Fehler machen, es sollte alles so authentisch wie möglich sein.

Machen Sie sich über das Jüdische lustig?

Nein. Aber je radikaler das Judentum, umso mehr Stoff gibt es für Komödien her. Über die „Abenteuer des Rabbi Jacob“, in den siebziger Jahren mit Louis de Funès verfilmt, haben selbst die orthodoxesten Rabbiner lachen können. In Frankreich lief vor zwei Jahren ein Zweiteiler mit dem Titel „Die Wahrheit, wenn ich lüge“ – ein unglaublicher Erfolg. Da ging es um Geschichten aus dem jüdischen Alltag. Die Filme waren so erfolgreich wie bei uns der „Schuh des Manitu“, obwohl auch nur 400 000 Juden in Frankreich leben. Warum sollte das bei uns nicht möglich sein? Aber sich lustig machen über Juden, die ihr Leben nach den orthodoxen Regeln leben, nein, auf keinen Fall.

Aber die Ultra-Orthodoxen gäben schon was her.

Mag sein. Aber nicht für mich. Mich interessiert das moderne jüdische Leben mit all seinen modernen Konflikten. Umso größer da die Reibungen, desto größer der Lustfaktor.

Ist „Zucker“ rein zufällig eine Familienkomödie?

Das Thema Familie liegt uns Juden in den Genen. Es ist sicher kein Zufall, dass so viele der ersten Psychoanalytiker Juden waren. Bei uns geht es immer um die Familie, um die damit verbundenen Desaster, um Konflikte. Eine Geschichte über Automechaniker hätte mich nicht so ganz interessiert.

Es heißt, das der Intendant des WDR, Fritz Pleitgen, und der Vorsitzende des Zentralrats der Juden, Paul Spiegel, die Idee einer jüdischen Komödie ausgeheckt hätten.

Kann ja sein, aber mit meiner Geschichte hat das nichts zu tun.

Sind Sie Spiegel- und Pleitgen-frei?

Ja, aber nicht Mutter-frei. Meine Mutter hat das Drehbuch gelesen und geprüft. Sie fand die Geschichte schön, aber das Thema schwierig. Diese Generation hat eine ganz andere Sicht der Dinge. Und sie wird von bestimmten Ängsten beherrscht. Aber ich kann mein Leben weder an diesen noch überhaupt an Ängsten ausrichten. Diese Generation sagt, man müsse alles tun, um neuem Antisemitismus keine Nahrung zu geben. Das geht so weit, dass ein Jude im Film nicht einmal ein Mietshaus kaufen kann, weil das bestimmte Vorurteile bestärken könnte. Es läuft darauf hinaus, dass Juden nur positiv besetzte Rollen spielen dürften. Was für ein Wahnsinn!

Ist das Normalität? Wenn der Jude kein Jude mehr ist, dann ist er kein Jude mehr.

Ich hätte auch einen Film machen können über Juden, die man nicht als Juden erkennt. Aber das interessiert mich nicht. Es geht mir auch um die Schönheit des jüdischen Lebens. Um Gefühle, Weisheit, Haltung. Der Talmud lehrt zum Beispiel, dass man alles von verschiedenen Seiten betrachten kann.

Was wollen Sie?

Ich will das Judentum aus der Versenkung holen und aus der Opferrolle befreien. Ich will, dass das Jüdische wieder da is t.

Das Gespräch führten Thomas Eckert und Joachim Huber.

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