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So viel Spaß muss sein. „Mainz bleibt Mainz“ interessierte 6,42 Millionen ZDF-Zuschauer. Und das Erste überträgt am Montag von 12 Uhr 15 an die Rosenmontagsumzüge.

© dpa

Karneval im Fernsehen: "Unverwüstliches Vergnügen"

Warum Karneval ein fester Programmpunkt im Fernsehen war und ist: Interview mit dem Kulturanthropologen Werner Mezger

Herr Mezger, wenn die Zuschauer Karnevals- und Faschingssendungen im Fernsehen einschalten: Sehen Sie dann Karneval und Fasching oder sehen sie Inszenierungen von Karneval und Fasching?

Was durchs Fernsehen vermittelt wird, ist immer eine Inszenierung. Das liegt in der Natur des Mediums. Bei Fastnachts- und Karnevalssendungen muss man allerdings zwei Grundtypen unterschieden: Berichte oder Übertragungen aus dem närrischen Straßengeschehen einerseits und karnevaleske Saalveranstaltungen andererseits. Im ersten Fall versucht das Fernsehen ohne große inszenatorische Einflussnahme Brauchgeschehen im öffentlichen Raum abzubilden, bei dem sich durchaus auch Spontanes und Unvorhergesehenes entwickeln kann. Bei närrischen Sitzungen im Saal hingegen handelt es sich um showähnliche Inszenierungen mit einem keineswegs nur von den närrischen Akteuren bestimmten Ablauf, sondern einer eben vom Fernsehen genauestens festgelegten Dramaturgie.

Der Saalkarneval, mal mit und mal ohne Kameras: Wo liegen da die Unterschiede?

Ohne Kameras gibt es bei aller Programmplanung der Akteure immer noch Spielräume für Spontaneität und Improvisation. Da darf auch mal was schiefgehen, was nicht Perfektes gezeigt werden. Im Scheinwerferlicht des Fernsehens ist das anders. Hier haben Redaktion und Regie klare Wünsche, um nicht zu sagen rigide Anforderungen an die Auftritte,  an deren Inhalte und Abfolge, an die Ausgewogenheit zwischen Wort, Musik, Tanz und Wort und vieles mehr. Hier erwarten die Macher Perfektion und Präzision. Bei Liveausstrahlungen müssen Sendezeiten strikt eingehalten werden. Genau eingeleuchtete Kamerapositionen lassen manchen Rednern buchstäblich keinen Zentimeter Spielraum. Und über allem schwebt die Frage: Wie kommt was „draußen an den Bildschirmen“ an? Das hat zur Folge, dass bei großen Karnevalssendungen neuerdings zunehmend Profis auftreten – Kabarettisten oder Comedians, die auch das Jahr über auf der Showbühne stehen und damit ihr Geld verdienen. Und zuweilen sind die Konzessionen der Karnevalisten ans Fernsehen gar total verwunderlich, fast schon wieder unfreiwillig komisch: Warum beispielsweise 2018 in Aachen bei der Sendung von der Verleihung des Ordens wider den tierischen Ernst der Tagesschau-Sprecher Jens Riewa mitmoderiert hat, verstehe wer will.  

Wie frei sind die Redner bei diesen Veranstaltungen: Müssen Sie sich political correct verhalten oder darf durchaus über die Stränge geschlagen werden?

Fernsehen hat ja, was die Reichweite angeht, eine ungeheure Wucht. Da muss bei Büttenreden buchstäblich jedes Wort auf die Goldwaage gelegt werden. Zwar üben die verantwortlichen Redakteure keine Zensur, aber doch eine – sagen wir mal - intensive Beratung der Akteure aus. Und Politiker und Prominente im Saalpublikum, die auf Popularität schielen und durch deren Anwesenheit sich auch wiederum die Narren auf der Telebühne  geehrt fühlen, sind als Gäste natürlich keine Adressaten wirklicher Kritik, sondern werden freundlichst hofiert. Das ist eine Art Geschäft auf Gegenseitigkeit: Die Narren begrüßen mit ein paar artig lockeren Sprüchen die Promis, und diese – manche in spektakulärer Kostümierung -  erhalten ihre medienwirksamen Schnittbilder. Jede Seite sonnt sich im Glanz der anderen. 

Werner Mezger ist Professor für Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie an der Universität Freiburg.
Werner Mezger ist Professor für Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie an der Universität Freiburg.

© Jörg Klose

Dann ist die „heute-show“ ja die viel härtere Veranstaltung, oder?

Eine Sendung wie die „heute-show“ ist ein völlig anderes Format. Hier geht es nicht um karnevaleske Schunkelstimmung, sondern um durchaus scharfe  Kritik und Satire. Hier gilt nicht das  milde Karnevalsmotto „Allen wohl und niemand weh.“ Hier wird schon mal eine kesse Lippe riskiert, werden Grenzen ausgetestet und manchmal sogar überschritten. Das anwesende Publikum hat da übrigens auch eine ganz andere Funktion als das Saalpublikum bei Karnevalssendungen. Während die an Tischen sitzenden zahlreichenden Besucher närrischer Saalveranstaltungen via Bildschirm für Stimmung und Atmosphäre sorgen, braucht man das auf  Stuhlreihen platzierte, spärliche Präsenzpublikum bei Produktionen wie der „heute-show“ dramaturgisch vor allem, um keine tote Studioatmosphäre entstehen zu lassen, sondern Reaktionen wie Applaus oder Gelächter zu bekommen.

Wie wichtig ist für die „Hochburgen“ Köln und Mainz die Fernsehpräsenz?

Medienpräsenz ist grundsätzlich wichtig, vor allem wenn man sie wie die Karnevalshochburgen als Nebeneffekt populärer lokaler Fastnachtstraditionen quasi umsonst bekommt. Das hat nicht nur mit menschlicher Eitelkeit zu tun, von der kein bildschirmpräsenter Akteur frei ist, sondern auch mit handfesten Interessen vieler indirekt Beteiligter. Da geht es sehr wohl um kommunale Marketinginteressen, um touristischen Attraktivität und vieles mehr.

In der Programmzeitschrift „Hörzu“ gab es zuletzt eine Forsa-Umfrage zu lesen, wonach 38 Prozent der Zuschauer von den Karnevalssendungen genervt sind. Bei den 30- bis 44-Jährigen seien es gar 44 Prozent. Haben Sie dafür Verständnis?

Wer sollte dafür kein Verständnis haben? Das sage ich sehr bewusst auch in meiner Rolle als langjähriger Kommentator fastnächtlicher Fernsehübertragungen. Niemand ist gezwungen, eine Fastnachtssendung einzuschalten, jeder kann wegzappen und findet im heutigen breiten Programmangebot genug Alternativen. Aber das Fernsehen produziert prinzipiell nur Sendungen, die auch „Quote machen“. Und da gibt es nach wie vor eine sehr stabile Zahl von Zuschauen, denen die Karnevalsformate gefallen. Gerade bei Umzugsübertragungen kommt noch ein ganz interessanter, eigentlich medienatypischer, offenbar nur für Fastnachtssendungen geltender Effekt hinzu. Während Filmwiederholungen die Zuschauer in der Regel sofort zum Wegzappen veranlassen, ist es etwa bei Umzugsübertagungen genau umgekehrt. Da können nach einer Woche dieselben Narrengruppen wieder gezeigt werden, die man vor kurzem schon in ähnlichem Kontext gesehen hat, und niemand schaltet weg. Diese Zuschauerklientel sagt nicht: „Oh Gott, schon wieder dasselbe“, sondern reagiert umgekehrt: „Ach schau, da sind sie wieder.“  Da spielt offenbar das repetitive Element von Bräuchen eine Rolle, das bei Zuschauern beispielsweise auch am Straßenrand geschätzt wird: Man weiß, was einen erwartet, man weiß aber auch, dass es immer auch noch ein ganz klein bisschen anderes kommt als erwartet. Letztlich ist es das spannende Wechselverhältnis zwischen Tradition und Innovation, was hier anscheinend eine besondere Attraktivität hat.

Dass der Bildschirm-Karneval aber auch zunehmend eine ganzjährige Konkurrenz bekommt, sehe ich sehr wohl: Klamauk und Comedy sind auf den Bildschirmen ständig präsent, und auch in Bezug auf die Alltagskultur spricht man in der Wissenschaft von einer fortschreitenden „Karnevalisierung“. Das nimmt dem Karneval in der Tat  bis zu einem gewissen Grad seine Alleinstellungsmerkmale.  

Ungebrochener Boom

ARD, ZDF und Dritte zeigen über 90 Karnevalsshows. Wird mit dieser Massierung ein richtiges oder ein falsches Bild von der Attraktivität von Karneval und Fasching gezeichnet?

Allzu viel ist ungesund, sagt eine alte Redensart. Ich selber habe in vielen Redaktionsgesprächen immer vor einem Overkill gewarnt, bin aber jedes Mal durch die Einschaltquoten Lügen gestraft worden. Es gibt ein Publikum, das sich diese Dinge unentwegt und offenbar mit unverwüstlichem Vergnügen anschaut. Das entspricht dem ungeheuren Boom, den Karneval und Fastnacht in den letzten Jahren auch in der Realität erlebt haben. Insofern zeichnet die Fülle der Fernsehsendungen doch ein wahres Bild von der Rolle, die das Geschehen der tollen Tage für viele Menschen spielt. Hier böte sich ein interessantes Feld für die Forschung. Medial gesehen aber ist klar: Fastnachts- und Karnevalssendungen polarisieren – entweder man mag sie, oder man lehnt sie ab. Ein Dazwischen gibt es hier nicht.

Gerade gab es Streit um die „Fastnacht in Franken“. Die singende Komödiantentruppe „Altneihauser Feierwehrkapell'n“ lästerte über Brigitte Macron, die ältere Frau des französischen Staatspräsidenten. Wo hört der Spaß auf?

Kurze Antwort: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Das gilt auch für die Fastnacht. In den tollen Tagen sollten bei aller Ausgelassenheit Menschen fröhlich miteinander lachen, nicht hämisch übereinander. Mehr habe ich dazu nicht zu sagen.

Das Interview führte Joachim Huber.

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