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Medien: Katz und Maus

„Nicht ohne Risiko“: Harun Farocki beobachtet das „venture capital“ beim Geschäftsabschluss

Die Maus will gern noch eine Weile leben, aber dazu braucht sie die Unterstützung der Katze. Denn die sitzt auf den Nahrungsvorräten, dem Geld. Wie kann die Maus der Katze viele Körner abluchsen, ohne dabei gefressen zu werden? Sie muss geschickt taktieren, aber auch die Katze ist schlau – ein spannendes Spiel.

Sieben Stunden lang haben die Chefs der Firma NCTE und Vertreter des weltweiten Kapitalgebers Buchanan um 750 000 Euro verhandelt, mit denen das auf Drehmoment-Sensoren für Kräne und Rennautos spezialisierte Unternehmen seine gute Marktstellung ausbauen will. Buchanan verlangt dafür 34 Prozent Geschäftsanteile, aber das geht den Kreditnehmern zu weit. NCTE setzt seinen Finanzwert auf 1,8 Millionen Euro an und verweist auf ein gefülltes Lager. Die Herren von Buchanan interessiert das nicht, mehr als 1,4 Millionen sei der Laden nicht wert. Am Ende steht ein Kompromiss: Der Risiko-Kapitalgeber schießt nur eine halbe Million vor, erhält jedoch die 34 Prozent, wenn NCTE weitere 250 000 benötigt. Die Maus reibt sich die Pfoten, die Katze leckt ihre Lippen. Nun kann man essen gehen.

Es geht hier nicht viel anders zu als auf einem südlichen Basar. Jede Seite weiß im voraus, dass sie einen Kompromiss eingehen muss, aber den kann sie nicht gleich anbieten. Die Partner wollen erst einander abtasten und auch mal bluffen, um zu wissen, wie weit sie gehen können. Die Katze scheint in der besseren Position, aber auch sie lässt sich auf ein Risiko, die Insolvenz der Maus, ein. Die Maus wird lange brauchen, bis sie vor den Forderungen der Katze sicher ist, aber vielleicht entkommt sie deren scharfen Krallen doch noch mit einem dicken Fettpolster.

Harun Farocki, analytischer Filmemacher seit den heißen Tagen an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (dffb) im Jahr 1968, und sein bewährter Kameramann Ingo Kratisch haben den Verhandlungsgang mitgefilmt und in 50 Minuten zusammengefasst. Inserts übersetzen Begriffe aus dem Managerrotwelsch ins Deutsche, der am häufigsten gebrauchte lautet: venture capital (Risikokapital). Danach wird in Deutschland derzeit lauthals gerufen, andere warnen. Die Mäuse mögen den Speck, nicht die Falle.

Farocki seziert ein kleines Ereignis aus dem Wirtschaftsleben als anschauliches Beispiel für das Ganze, indem er die kniffligen Punkte herausarbeitet. Unaufgeregt, im Stil des direct cinema, das ohne Kommentar der Macher auskommt. Nebenbei fallen Sätze wie: Arbeiter werden wir uns nicht auf Halde legen, oder: Mit einem Techniker oder Ingenieur können wir unter Umständen 160 000 bis 200 000 verdienen. Den Ingenieur gibt es zuhauf, das Kapital dagegen, „das flüchtige Reh“, muss gestreichelt werden. Vielleicht hat der Ingenieur mit einem Aktienpaket mehr Glück als mit seiner Arbeitskraft.

Ein Stück Komödie hält der Film auch parat. Wie auf Kommando erscheinen die Herren, jede Seite und zuweilen beide zugleich, mal mit, mal ohne Jackett. Und zum Geschäftsabschluss „beim Italiener“ recken sie wie hungrige Vogelkinder den Kopf nach dem Speisenanschlag an der Wand. Im Geschäftsleben werden Katze und Maus einander ziemlich ähnlich, und sie hocken ja auch im gleichen Nest.

„Nicht ohne Risiko“, WDR Fernsehen, Mittwoch, 23 Uhr 15

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