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Dorftyrann Mike (Morten Hee Andersen) terrorisiert die Dorfgemeinschaft der dänischen Insel Fünen. Seine Aggression scheint keine Grenzen zu kennen.

© ZDF und Andreas Houmann

„Killing Mike“ bei ZDFneo: Auf der Jagd

Die Scandic-Noir-Serie „Killing Mike“ bietet bezwingendes, herausragendes Spannungsfernsehen.

Am Anfang steht die Rückblende: Ein roter Pickup fährt eine Straße entlang. Kein Gegenverkehr, keine Auffälligkeiten. Weiter vorne, noch mit großem Abstand, fährt ein Jugendlicher auf seinem Fahrrad. Es ist Aksel (Viktor Medom), der Sohn des Dorfarztes Peter (Claus Riis Østergaard). Dann beschleunigt der Pickup. Der leuchtend rote Wagen, der oft noch zu sehen sein wird, wie er seine Runden dreht durch die kleine, auf Dänemarks drittgrößter Insel Fünen gelegenen Gemeinde Balling, fährt schnurstracks auf Aksel zu.

Die Kamera zeigt nicht, was dann passiert – lediglich aus dem Off ist zu hören, wie der schwere Wagen das Fahrrad überrollt. Aksel stirbt dabei. Auf dem Beifahrersitz sitzt Kasper (Sylvester Byder), der 18-jährige Sohn von John (Mads Rømer) und Anna (Marijana Jankovic).

Kasper ist der einzige in Balling, der weiß, was wirklich geschah, als der Mann am Steuer neben ihm aufs Gas trat: Mike (Morten Hee Andersen). Seither – auch jetzt, anderthalb Jahre später – behauptet Kasper, dass es ein Unfall gewesen sei. Mike sei unschuldig. Doch Aksels Vater Peter ist fest davon überzeugt: Es war Mord. Er hat nur einen Wunsch: Killing Mike.

Fortan erzählt die neue, preisgekrönte dänische Serie „Killing Mike“ von den Menschen, die in Balling leben: etwa von Bibi (Lene Maria Christensen), die zusammen mit ihrem Mann Tom (Jesper Riefensthal) eine Kneipe betreibt und sich nichts sehnlicher wünscht, als doch noch Mutter zu werden. Oder von Arzt Peter, der dabei ist, am frühen tragischen Tod seines Sohnes Aksel zu zerbrechen und sich ganz dem Trinken hingibt. Und seinen Rachegelüsten an Mike.

Oder von Martin (Anders Juul), dem allzu frauenaffinen Romanautor aus Kopenhagen, der nach Balling zurückkehrt, an den Ort, wo sein Bruder, der Arzt Peter wohnt, und auch seine erste große Liebe, die mit John verheiratete Anna, Kaspers Mutter.

Sie alle eint eines: jeder und jede von ihnen wird von Mike tyrannisiert, gepeinigt, gequält. Mike verbreitet Angst und Schrecken – sobald er auftaucht, friert die Atmosphäre, versteinern die Menschen. Auf ganz wundersame Weise hat dieser kahlgeschorene präpotente Typ, von dem Arzt Peter behauptet, er sei ein kalter Psychopath, alle mit seiner manipulativen Dauer-Schikane im Griff. Niemand ist vor ihm sicher. Dieser Mike ist der Tyrann von Balling. Freunde hat der Solitär keine. Nur der junge Kasper hält zur großen Sorge seiner Eltern Anna und John zu ihm.

„Killing Mike“ – basierend auf einer Idee von Christian Torpe und Marie Østerbye – entfacht im Laufe der acht Folgen ein kleines gesellschaftliches Panoptikum à la „Broadchurch“. Jeder und jede der Protagonisten wird biographisch anerzählt und mit kleinen Sub-Geschichten innerhalb dieses Mikrokosmos’ unterfüttert („Killing Mike“, acht Folgen, Freitag und Samstag, ZDFneo, ab 23 Uhr 30).

Das Geflecht der Beziehungen und Verknüpfungen untereinander wird subtil und konzise gesponnen, zeitweilig ist es derart komplex und vielschichtig, dass konzentrierte Aufmerksamkeit beim Zusehen unerlässlich ist.

Man will einfach wissen, wie es weitergeht

Drei Regisseure haben die brillanten, wasserfesten Drehbücher – die die beiden Ideengeber Torpe und Østerbye überwiegend auch selbst geschrieben haben – im Wechsel in Szene gesetzt: Louise N.D. Friedberg, Søren Balle und Martin De Thurah.

Die Inszenierung ist bezwingend, die Schauspieler-Führung auf den Punkt, das Setting auf der dänischen Insel dunkel und düster, das Ensemble der spürbar spielfreudigen Akteure ausnahmslos erstklassig: „Killing Mike“, vom dänischen Sender DR – der unter anderem die herausragende Polit-Serie „Borgen“ verantwortete – zusammen mit ZDFneo co-produziert, dürfte mithin zum Feinsten zählen, was in jüngster Zeit den Serien-Bildschirm erblickt hat.

Es gibt einzelne Folgen von „Killing Mike“, die in ihrem hohen Spannungsvolumen und ihrer narrativen Dichte, in ihrer emotionalen Intensität und ihrer kruden Kälte nahezu kaum auszuhalten sind.

Dazu zählt etwas Folge sieben, „Das Attentat“. Eine kleine Gruppe Verschworener aus der Gemeinde will Mike umbringen und ist dabei, den so lange erdachten, immer wieder verworfenen Plan auch in die Tat umzusetzen. Sekunden nur vor dem Abspann müssen Arzt Peter und die Zuschauer eine verdammt große Überraschung erleben, kurz vor Beginn der finalen Folge.

Alles lässt darauf schließen, dass es eine zweite Staffel geben wird. Zu offen ist das Ende der vorläufigen Schlussfolge, noch nicht auserzählt sind die Einzel-Biographien der Gemeindebewohner. Und, zu sehr triggert „Killing Mike“ den Serien-Sucht-Faktor an: man will einfach wissen, wie es weitergeht, wie es weitergehen könnte – mit den erneut sich Liebenden Anna und Martin, mit der werdenden Mutter Bibi, mit dem leidenden Arzt Peter, mit dem jungen flattrigen Kasper auch. Von ihnen allen will man mehr sehen, dort, auf der Insel Fünen.

Was man sich allerdings auf dem Mainzer Lerchenberg dabei gedacht haben mag, dieses Serienjuwel auf zwei späte Abende zu legen, das mögen einzig die Götter der Programmplanung wissen. Zum Glück gibt es die ZDFneo-Mediathek. Dort ist „Killing Mike“ jederzeit zu sehen und zu entdecken. It’s a must.

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