zum Hauptinhalt
Pokal-Viertelfinale Dortmund gegen Hoffenheim

© dpa

Kolumne von Matthias Kalle: Den Stecker ziehen

Unser Kolumnist hält sich eigentlich für einen progressiven Menschen. Er möchte nicht mehr in einer Welt der Röhrenfernseher und Schnurtelefone leben. Wenn das so einfach wäre.

Ich habe es nicht geschafft, einen Fernseher anzumachen, so weit ist es schon gekommen. Für ein paar Tage hütete ich die Wohnung eines Freundes – keine Air b’n’b-Geschichte, sondern ein traditioneller Freundschaftsdienst mit Blumengießen und Einkaufen. Jedenfalls wollte ich dann am Dienstagabend Fußball gucken, mein Freund hatte mir eine kleine Box mit Fernbedienungen auf den Couchtisch gestellt. Ich nahm die, von der ich dachte, sie gehöre zum Fernseher, tatsächlich ging das Ding auch an, der Bildschirm aber blieb schwarz.

Ich drückte hier und ich drückte da, manche Menschen haben ihre Sender ja an den unmöglichsten Orten platziert – aber es geschah nichts. Na ja, dachte ich, vielleicht laufen die Sender über den DVD-Player, der neben dem Fernseher stand; ich schaltete ihn an, drückte auf verschiedenen Knöpfe – aber es geschah nichts. Der Bildschirm blieb schwarz, es waren noch fünf Minuten bis zum Anstoß. Mein Freund war in Italien, mit seiner Familie, ich hätte ihn anrufen können – aber was hätte ich dann gesagt? Ich kriege deinen Fernseher nicht an? Gelacht hätte dann mein Freund, darüber, dass ein Fernsehkritiker den Fernseher nicht anbekommt – man stelle sich einen Literaturkritiker vor, der ein Buch nicht aufschlagen kann... Ich rief ihn nicht an, entdeckte aber neben dem Fernseher zwei kleine Boxen. Ich schaltete eine an, sie machte ein furchtbares Geräusch – die andere hatte keinen Einschaltknopf. Mittlerweile lief das Spiel bereits, ich wurde leicht nervös und griff in die Box mit den Fernbedienungen, drückte mal auf diese, mal auf jene, plötzlich – ich weiß nicht warum – erschien auf dem Bildschirm die Information „loading...“. Und tatsächlich „lud“ der Fernseher irgendwas, und ein paar Sekunden später ploppte das Bild der ARD auf dem Schirm auf.

Wenn ich das nicht gleich täte, würde sich der Fernseher ausschalten

Ich schaute also das DFB-Pokal-Viertelfinale Dortmund gegen Hoffenheim, ärgerte mich wie so oft über den Kommentator Steffen Simon, und fragte mich, in welcher Welt die Dinge stattfinden, über die der Mann spricht. Aber vor allem freute ich mich über den Verlauf des Spiels, war ja nicht unspannend, aber kurz vor dem Ende der Verlängerung, erschien auf einmal eine Bildtafel auf dem Schirm. Ich hätte seit längerer Zeit keine Taste mehr gedrückt – wenn ich das nicht gleich täte, würde sich der Fernseher ausschalten.
Ich halte mich eigentlich für einen progressiven Menschen. Ich möchte nicht mehr in einer Welt der Röhrenfernseher und Schnurtelefone leben – aber was soll ich mit einem Fernseher machen, den ich erst nicht ankriege und der sich dann, wenn er an ist, darüber wundert, dass man längere Zeit keine Tasten gedrückt hat, weil man offensichtlich zwei Stunden lang mit einem Programm zufrieden war? Kann es vielleicht sein, dass sich die Menschen, die sich immer über das Fernsehen aufregen, gar nicht das Programm, die Inhalte, die Sender meinen – sondern das Ding an sich? Treibt sie das Gerät in die Verzweiflung? Müssen wir Fernsehkritiker uns jetzt ein bisschen technisches Know-How draufschaffen?
Ich habe dann den Ton lauter gemacht, die Anzeige verschwand, Dortmund gewann. Nach dem Spiel habe ich alle Stecker aus der Steckdose gezogen und ein Buch gelesen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false