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Analoge Arbeit wird zumindest in der westlichen Welt immer seltener. Dafür entstehen neue Formen der Ausbeutung, sagt der Autor Trebor Scholz.

© ELIGIO PAONI/CONTRASTO/laif

KONFERENZ: „Das ist ungeheuerlich“

Neue digitale Arbeitswelten boomen. Im Netz werden kleinste Aufträge für Hungerlöhne übernommen. Der New Yorker Autor Trebor Scholz hat die neuen Märkte untersucht und spricht von Ausbeutung.

Herr Scholz, es ist acht Uhr abends und Sie sind noch immer im Büro. Beuten Sie sich selbst aus?

Früher war ich ein extremer Arbeiter, heute versuche ich weniger zu arbeiten. Aber natürlich, ich bin Arbeiter.

Sind Sie ständig online?

Nein, ich versuche bewusst, Tage zu schaffen, an denen ich mich von der Internetwelt abkapsele, wenn man so will. Ich lebe auch gerade durch den einen „social media hiatus“. Facebook ist deaktiviert. Ich kann das nur empfehlen.

Sie haben ein Buch über „Digitale Arbeit“ herausgegeben. Gemeinsam mit anderen Autoren untersuchen Sie, ob der digitale Arbeitsmarkt neue Formen der Ausbeutung im Sinne von Karl Marx geschaffen hat. Was ist das Ergebnis?

Ich glaube, wenn man die Frage beantworten will, muss man zwischen den unterschiedlichen Formen von Arbeit unterscheiden, die es in der digitalen Welt gibt. Da ist zunächst die entlohnte Arbeit, aber dann auch die nicht entlohnte Arbeit, all die Formen freiwilliger Beteiligung, zum Beispiel in sozialen Netzwerken. Ich glaube, der Begriff der Ausbeutung passt gut zu neuen Formen der entlohnten Arbeit, etwa in der Crowdsourcing-Industrie. Das ist die Avantgarde des Postfordismus.

Sie meinen, wenn Unternehmen über Internetplattformen Tausende von Menschen mit sehr einfachen kleinen Aufgaben beschäftigen, zum Beispiel Bilder beschriften oder Dateien formatieren.

In dieser Industrie arbeiten bereits Millionen von Menschen, sie wird aber noch kaum kritisch zur Kenntnis genommen. Nehmen Sie zum Beispiel die Plattform von Amazon.com, „Mechanical Turk“. Auf dieser Plattform kann praktisch jeder zum Arbeitgeber werden. Man bietet kleine Aufgaben für einen bestimmten Lohn an, die andere dann annehmen und ausführen. Dafür bekommen die Arbeiter im Schnitt zwei Dollar die Stunde. Dort ist ein vollkommen unregulierter Sektor entstanden. Das Arbeitsrecht ist zwar vermutlich anwendbar, aber es wird nicht durchgesetzt. Es ist völlig unklar, ob die Leute, die dort arbeiten, als selbstständige Dienstleister gelten oder ob sie Angestellte sind und Rechte haben. Um auf die Frage zurückzukommen: Ja, es gibt Momente der Ausbeutung im Markt für digitale Arbeit, aber ich würde nicht sagen, dass alles, was wir beobachten, ausbeuterische Züge trägt.

Manche Autoren in Ihrem Buch beziehen Marx auch auf das Crowdsourcing von Ideen, wenn Unternehmen Kunden an der Produktentwicklung beteiligen. Ist das aus Ihrer Sicht Ausbeutung?

Nein, ich würde sagen, diese Menschen werden ausgenutzt, sie werden enteignet. Das Crowdsourcing im Bereich Forschung und Entwicklung ist ebenfalls ein riesiger Markt, an dem sich inzwischen alle von BMW über Kraft bis zu Lego beteiligen. Eric von Hippel vom MIT hat das jahrzehntelang untersucht. Er sagt, dass die Nutzer und nicht die Firmen inzwischen für die eigentlichen Innovationen verantwortlich sind. Jemand verbessert zum Beispiel sein Mountain-Bike und die Firma übernimmt das in die Massenproduktion. Dafür bekommt der Bastler weder Anerkennung noch eine Bezahlung.

Einige Autoren sehen auch die Aktivitäten von Nutzern auf Facebook als Arbeit – weil dadurch Daten generiert werden, die das Unternehmen verkauft. Auch eine Form der Ausbeutung?

Das, was die Leute auf Facebook oder Instagram machen, würde ich nicht als Ausbeutung bezeichnen, sondern als Enteignung oder Ausnutzung.

Was ist denn aus Ihrer Sicht „digitale Arbeit“?

Für mich ist digitale Arbeit, eine menschliche Aktivität, die manchmal nur zum Vergnügen ausgeführt wird, die aber einen ökonomischen und symbolischen Wert generiert. Sie kann zu jeder Zeit ausgeführt werden. Diese Form der Arbeit ist weder an die Fabrik noch das Büro noch den Haushalt gebunden. Sie wird fortwährend ausgeführt – in „Echtzeit“ – in einem vorher nie da gewesenen Ausmaß. Freizeit und Arbeit werden bis zur Unkenntlichkeit vermischt. Es ist mir wichtig, keine totalisierende Sicht auf digitale Arbeit zu präsentieren. Die Dynamik von bezahlter oder kostenloser Arbeit unterscheidet sich, zum Beispiel.

Ich finde es schwierig, das Schaffen eines Wertes in das Zentrum der Definition von digitaler Arbeit zu stellen. Ist Facebook wirklich Arbeit?

Was würde passieren, wenn niemand mehr auf Facebook oder Google wäre? Ohne unsere Teilnahme würde das Geschäftsmodell zusammenbrechen. Wenn der Service „umsonst“ ist, sind wir das Produkt! Letztlich ist es eine Frage neuer Konzepte, wir müssen dringend bessere Theorien entwickeln, um zu begreifen, was da passiert. Nehmen Sie doch nur mal die ungeheuerlichen Vorgänge in der Crowdsourcing-Industrie. 100 Jahre lang haben Arbeiter für ihre Rechte gekämpft. Und plötzlich wird das alles vom Tisch gewischt. Das ist ungeheuerlich.

Wie groß ist denn das Problem? In Deutschland kämpfen wir eher mit den Folgen der Agenda 2010 …

Deutschland ist nicht so stark betroffen, am relevantesten ist das Thema in China, Indien, Russland, den USA und in afrikanischen Ländern. Aber das ist kein Nischenmarkt mehr. Allein auf „Mechanical Turk“ arbeiten 500 000 Menschen. Für 18 Prozent von ihnen ist das die Haupteinkommensquelle. Es ist möglich, dass sich Deutschland in eine ähnliche Richtung entwickelt.

Wo bleibt dann die Revolution?

Die Verzweiflung vieler Arbeiter in den Vereinigten Staaten ist groß, aber sie sind ideologisch so in der Zange, dass sie sich oft selbst für ihre Lage die Schuld geben. Einer der Arbeiter auf Mechanical Turk sagte: „Natürlich weiß ich, dass ich die Wahl habe für Amazon Mechanical Turk zu arbeiten oder eben nicht. Aber wenn man es so formuliert, würde sich das so anhören, als ob es auch mir überlassen ist, ob ich die Miete bezahlen will oder das Essen.“ Es gibt zwar noch keine Straßenproteste, aber auf mechanisch Turk fangen Arbeiter schon an, sich zusammenzuschließen. Protest ist wahnsinnig kompliziert, da ja die Arbeiter anonym und isoliert sind und über die ganze Welt verstreut leben.

Was ist mit den guten Seiten des digitalen Arbeitsmarktes?

Diese Seite von digitaler Arbeit ist auch sehr wichtig, wenn auch sehr viel weniger Menschen involviert sind. Nehmen Sie zum Beispiel die deutsche Seite „Fairnopoly.de“. Sie wird auch auf der Re:publica vorgestellt. Das ist ein Online-Marktplatz wie Ebay, aber die Nutzer besitzen die Plattform. Es ist ein idealistisches und beeindruckendes Projekt. Es geht um Transparenz, um Fairness gegenüber Klienten und Arbeitern, die dort tätig sind. Solche Modelle sind natürlich nicht grenzenlos übertragbar, aber sie bekommen viel Zuspruch und sind profitabel.

Trebor Scholz ist Associate Professor für Kultur und Medien an der New School in New York. Sein Buch „Digital Labor. The Internet as Playground and Factory“ ist 2012 bei Routledge erschienen. Das Gespräch führte Anna Sauerbrey.

AM MONTAG STARTET DIE „REPUBLICA“

Die Arbeit in der digitalen Welt ist in diesem Jahr einer der Schwerpunkte der siebten „Republica“, die am Montag um 10 Uhr 15 in der „Station Berlin“ (Nähe Gleisdreieckpark) beginnt und bis Mittwoch geht. Neben unserem Interviewpartner Trebor Scholz spricht u.a. Jutta Allmendinger, Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin. Weitere Schwerpunkte sind das Thema Netzneutralität, neue Formen des wissenschaftlichen Arbeitens und der Wissenschaftsvermittlung, offene Verwaltungen und die Medienpädagogik im digitalen Zeitalter. Zu den prominenten Vortragenden gehören der Blogger und Mathematiker Gunter Dueck, der Blogger Sascha Lobo, der Science-Fiction-Autor und Essayist Cory Doctorow, die amerikanische Internetaktivistin Jillian York und die bekannte kubanische Bloggerin und Aktivistin Yoani Sanchez. Die Konferenz gilt international als wichtiger Treffpunkt für Netzaktive und Menschen mit innovativen Geschäftsideen für das Web 2.0. Die Veranstalter hoffen auf 5000 Gäste. as

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