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Mit den Rechten reden? Die Aufregung war groß, als Uwe Junge, Landesvorsitzender der AfD in Rheinland-Pfalz, Anfang Juli in der ARD-Talkshow „hart aber fair“ saß. Das Thema hieß: „Wie gefährlich ist rechter Hass?“, aber im Kern drehte sich der Talk um Abgrenzungsstrategien zur Alternative für Deutschland und ihren Vertreter Uwe Junge.

© dpa

Kontrovers, experimentell, vielfältig: Talkshows sollten sein wie das Leben selbst

Was die politischen Gesprächssendungen im Fernsehen brauchen: mehr Mut bei den Gästen, bei den Themen – und mehr Mut zur Gelassenheit.

Na endlich, der Sommer ist vorbei. Nun sind alle wieder da – Plasberg, Maischberger, Illner, Will, Lanz, Hayali. Mehr Talkshow im öffentlich-rechtlichen Fernsehen war nie. Oder zumindest selten. Das allein lohnt den Rundfunkbeitrag. Denn die Polit-Talkshows gehören zum Lebendigsten, was ARD und ZDF anzubieten haben. Es geht um Menschen und deren Ansichten, um Argumente und Parolen, um Gestus und Mimik, um Auftritt und Abtritt, um Posen und Gefühle. Alles ist live und unredigierbar. Gesagt ist gesagt. Nicht gesagt ist nicht gesagt. Und am nächsten Tag fällen die Rezensenten der Online-Portale ihr oft gnadenloses Urteil. Sie haben das letzte Wort und müssen doch zu keiner Zeit den Beweis antreten, es besser machen zu können. Das ist so wunderbar wie gemein.

Was wünscht sich der bekennende Talkshowfan nach den vergangenen zwei Wochen? Vor allem mehr Mut. Gerade weil es so viele Talkshows gibt, müssen nicht alle zu demselben Thema durchgenudelt werden. Maybrit Illner fing vor zehn Tagen mit Verkehr und Klima an, Anne Will folgte mit dem Klima vor einer Woche, bei „hart aber fair“ am Montag ging’s mit dem Klima weiter, „Maybrit Illner“ am Donnerstag bewegte sich im selben Themenkreis. Was wohl „Anne Will“ an diesem Sonntag um 21 Uhr 45 im Ersten diskutieren lässt? „Das Klimaschutzpaket der Bundesregierung – großer Wurf oder große Enttäuschung?“

Finger weg von ewiger Themen-Wiederholung

Das alles führt zu Wiederholungen und einer gewissen Langeweile. Merke: Interessant ist wichtiger als relevant. Manchmal ist ein Thema riesengroß, aber bereits in all seinen Facetten ausgeleuchtet worden. Dann bitte Finger davon.

Mehr Mut auch bei der Auswahl der Gäste. Oft ist die Rollenverteilung zu leicht zu durchschauen. Die Engagierte, der Betroffene, die Expertin, die politischen Kontrahenten, der Bösewicht. Dann bekommt das Gespräch schnell etwas Marionettenhaftes, weil jeder nur das sagen soll, was von ihm in seiner Rolle erwartet wird. Und die Moderatoren meinen, ein Drehbuch abarbeiten zu müssen, ohne sich überraschen lassen zu dürfen. Das Klammern an die Karteikarten erstickt die Spontaneität.

Mehr Mut bei den Themen. Warum nicht einmal eine Sendung zur Islamfeindschaft? Oder zur weltweiten Christenverfolgung? Oder zum Veganismus? Oder zu #Metoo? Jedes Thema ist genauso spannend wie die Auswahl der Gäste, die darüber reden. Die Angst vor dem Vorwurf, ein falsches „framing“ zu setzen („Flüchtlinge und Kriminalität“ oder „Wie gefährlich ist rechter Hass?“), darf nicht den Willen ersticken, Kontroversen auszuhalten. Der Zuschauer ist mündig und muss vor unliebsamen Ansichten nicht geschützt werden. Überpädagogisierung schafft Abwehrreflexe.

AfD einladen? Aber ja

Das gilt auch in Bezug auf Mitglieder der AfD. Wer deren Einladung in Talkshows ablehnt, begründet dies oft mit dem Argument, dadurch würde der Rechtspopulismus noch stärker. Wie armselig ist das? Nur weil die AfD-Vertreter reden dürfen, gewinnen sie Anhänger? Warum denn? Weil sie besser reden können als andere, bessere Argumente haben? Aus einer solchen Haltung spricht kein Selbstbewusstsein, sondern Verzagtheit. Außerdem ist es widersinnig, die Parolen der Rechtspopulisten von einer „Lügenpresse“ und den „Mainstream-Medien“ zu kritisieren, sich aber gegenüber den gewählten Vertretern der größten Oppositionspartei im Bundestag abzuschotten und ihnen jegliche Resonanz zu verwehren.

Mehr Mut zur Gelassenheit. Es muss nicht immer der vermeintliche Unhold in die Enge getrieben, demaskiert und entzaubert werden. Aggressive Rudelbildung provoziert oft unerwünschte Mitleidseffekte. In einer Talkshow müssen nicht stets die Guten über die Bösen siegen wie im Kasperletheater, wo das Krokodil am Ende die Holzlatte über den Kopf gezogen bekommt. Manchmal geht das Publikum auch unversöhnt mit der Realität ins Bett, verstört oder gar aufgewühlt. Das macht gar nichts.

Den Profigast entwaffnen

Gewiefte Talkshowgäste haben ihr Metier gelernt. Sie kennen sich aus in der Technik des Wortabschneidens, des Inzweifelziehens der moralischen Integrität ihres Kontrahenten, beim Ignorieren von Fragen, dem Setzen der kurzen, harten Pointe. All das lässt sich lernen. Aber das wissen auch Moderator und Moderatorin. Sie könnten Transparenz in die Unterhaltung bringen, indem sie derartige Techniken benennen. Das entwaffnet den Profigast und schult den Zuschauer.

Talkshows sollten nicht den Anspruch erheben, komplexe politische Prozesse abbilden zu können. Sie sollten aber überraschend bleiben wollen, kontrovers, experimentell und vielfältig. Also ungefähr wie das Leben selbst.

„Anne Will“, ARD, Sonntag, 21 Uhr 45

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