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Medien: Krieg ohne Ende

Die Rekordquote für „Die Flucht“ hat ihre Vorläufer

Verdrängung oder Verspätung? Zwar hat das deutsche Fernsehen die NS-Zeit immer wieder zu seinem Thema gemacht, und doch kamen die Großproduktionen der fiktionalisierten Historie mit Verzögerung auf den Bildschirm. Da waren andere Medien schneller. Wenn aber das Fernsehen kam, dann mit Macht, mit nachhaltigem Publikumserfolg.

„Die Flucht“ gehört dazu. Der Auftakt des Zweiteilers hat am Sonntag in der ARD 11,18 Millionen Zuschauer interessiert. Nach Angaben von ARD-Programmdirektor Günter Struve war „Die Flucht“ der erfolgreichste Film im ersten Programm seit zehn Jahren. Zugleich wurde die Geschichte von Flucht und Vertreibung zum ersten Mal mit den Mitteln der Fernsehfiktion erzählt, und das 62 Jahre nach dem historischen Geschehen.

1959 war die ARD schneller. Der Sechsteiler „So weit die Füße tragen“ rekurrierte auf die deutschen Soldaten, die bis 1955 in sowjetischer Kriegsgefangenschaft gewesen waren. „So weit die Füße tragen“ schildert, wie Clemens Forell 1949 aus einem ostsibirischen Gefangenenlager Richtung Heimat flieht. Über 90 Prozent der damaligen Fernsehzuschauer in der Bundesrepublik sahen zu. Wie viele Zuschauer es tatsächlich waren, ist unbekannt, weil es noch keine genaue Quotenmessung gab. Die Zahl der 90 Prozent stützt sich auf die Angaben von wenigen hundert Befragten.

Das biblische Verbrechen, die Vernichtung der Juden, wurde nur über Umwege zum Thema. Die vierteilige Serie „Holocaust – Die Geschichte der Familie Weiß“ war eine US-Produktion, ein Hollywood-Produkt; zu mehr als dem Einkauf hatte die ARD nicht den Mut, konnte sie vielleicht auch nicht haben, denn wie sehr war die bundesdeutsche Gesellschaft bereit, sich diesem Verbrechen zu stellen? Offenbar war sie bereit dazu, die Ausstrahlung von „Holocaust“ im Januar 1979 in den Dritten Programmen fand im Schnitt 12,5 Millionen Zuschauer. Ein Meilenstein in der Fernsehgeschichtsschreibung und eine Wegmarke für das Schuld-Bewusstsein der Deutschen.

Das fremde Leid und das eigene Leiden, beides hat das Fernsehpublikum auch weiterhin interessiert. Als 1985 die erste, dreiteilige Fernsehversion der Kino-Verfilmung des Romans „Das Boot“ von der ARD ausgestrahlt wurde, lag der Zuschauerschnitt bei sagenhaften 22 Millionen.

Selbst seitdem das öffentlich-rechtliche Fernsehen mit den Privatsendern konkurriert, darf die fiktionale Aufarbeitung der NS-Zeit mit sehr respektablen Quoten rechnen. Ob „Stauffenberg“ (Februar 2004/7,7 Millionen) oder „Der Untergang“, eine Kinoproduktion, die für die ARD erweitert und dann geteilt wurde (Oktober 2005/7,1 Millionen), der Publikumserfolg war da und wurde schließlich mit dem ZDF-Zweiteiler „Dresden“ – 12,7 Millionen Zuschauer im März 2006 – mehr als bestätigt. Stimmen Thema und programmliches Umfeld, dann sitzt nicht nur die „Generation Krieg“ vorm Schirm. Mit „Dresden“ erreichte das ZDF 3,92 Millionen Zuschauer zwischen 14 und 49 Jahren – ein Anteil von 25,9 Prozent.

„Dresden“ und „Die Flucht“ sind vielleicht so etwas wie erste Schlusssteine des Zweiten Weltkriegs, der NS-Zeit im Format der Fernseh-Fiktion. Die beiden Filme nehmen es sich heraus, die Grausamkeiten, die die Deutschen begingen, einzubeziehen in selbst erlebte Grausamkeit, sobald der (Luft-)Krieg nach Deutschland zurückkam. Verursachtes, fremdes Leid wird erlittenes, eigenes Leid. Es gehört zur aktuellen Fernsehgeschichte wie zur aktuellen Nachkriegsgeschichte, dass der Täter erst jetzt auch ein Opfer sein darf und doch ein Täter bleibt.

„Die Flucht“ von Sonntag und Montag bedeutet da kein Ende. Schon hat das ZDF „Hafen der Hoffnung: Die letzte Fahrt der Wilhelm Gustloff“ angekündigt; mittlerweile schreckt auch das Privatfernsehen nicht vor diesen Stoffen zurück. Pro 7 wird den Antikriegsfilm „Die Brücke“, eine der meistdekorierten Produktionen des Nachkriegskinos, neu verfilmen.

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