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Milosevic

© dpa

Kriegsverbrechertribunal: Lehrstück von Den Haag

Nicht mit einem Urteil, sondern mit dem Tod endete im März 2006 das Verfahren gegen den ehemaligen Präsidenten Jugoslawiens vor dem Internationalen Tribunal in Den Haag. Eine Arte-Doku beschäftigt sich mit dem Tribunal gegen Slobodan Milosevic.

Erstmals hatte sich ein einstiges Staatsoberhaupt vor einem internationalen Gericht verantworten müssen. Doch nach fast fünf Jahren war immer noch nicht geklärt, welche Verantwortung Milosevic an den Verbrechen während der Kriege in Kroatien, Bosnien-Herzegowina und dem Kosovo trug. Oder doch? Der britische Chefankläger Geoffrey Nice sagt in dem Dokumentarfilm „Slobodan Milosevic – Das letzte Gericht“, den Arte heute Abend zeigt, das Verfahren habe zu einem „recht befriedigenden Ergebnis“ geführt. Das reguläre Ende der Verhandlung wäre wohl „eher zu einer Katastrophe“ geworden als der abrupte Abschluss durch den Tod des Angeklagten (laut Obduktion durch Herzinfarkt). Denn ein Urteil wäre immer angreifbar gewesen. Auch die Gegenseite verbucht das schier endlose Verfahren als Erfolg. Letztlich sei Milosevic unschuldig gestorben, behauptet dessen juristischer Berater Dragoslav Ognjanovic.

Der dänische Autor Michael Christofferson hat das Tribunal von Anfang an begleitet und fasst in 115 Minuten den Ablauf noch einmal zusammen: den Kampf der Anklage mit der Zeit und der Beweissammlung; die Strategie des Angeklagten, das Tribunal zu verzögern und als öffentliche Bühne zu nutzen. Wichtige Momente aus der Verhandlung werden in Erinnerung gerufen, etwa die Vorführung der Filmaufnahmen, die die Beteiligung einer Spezialeinheit der serbischen Polizei an dem Massaker von Srebrenica belegten. Entlarvend wirken nicht zuletzt die Aussagen der treu ergebenen Anhänger, die Milosevic zu seiner Entlastung aufrief: Historiker, Politiker und Generäle, die ihn immer noch mit „Herr Präsident“ begrüßten und „das serbische Volk“ voller Pathos als das wahre Opfer in den Kriegen bezeichneten.

Der Film bietet aber auch einen Blick hinter die Kulissen: Der Autor hat Nice und Ognjanovic sowie die zeitweiligen Pflichtverteidiger von Milosevic begleitet und immer wieder befragt. Die Chuzpe, mit der Ognjanovic allen Vorwürfen begegnet, ist bisweilen schwer zu ertragen, dennoch profitiert der Film von der Zurückhaltung Christoffersons, der Bilder und Interviews weitgehend für sich sprechen lässt. Vor allem Geoffrey Nice, der öffentlich im Schatten der damaligen Chefanklägerin Carla Del Ponte stand, verdankt der Film aufschlussreiche Einblicke in diesen historischen Prozess – und manch nachdenklichen Satz: „Beweise sind wichtiger als Urteile“, sagt er.

Somit wäre das Tribunal in Den Haag, das sich nun im Verfahren gegen den bosnischen Serbenführer Radovan Karadzic erneut bewähren muss, weniger ein Gerichtsverfahren als ein notwendiges historisches Lehrstück.Thomas Gehringer

„Slobodan Milosevic - Das letzte Gericht“, Arte, 22 Uhr 30

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