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Schlussnummer. Letzte Ausgabe der „Magyar Nemzet“ vom 11. April 2018.

© Tsp

Kritische Presse: Ungarn schrumpft

Schwund an regierungskritischen Medien: Die ungarische Tageszeitung „Magyar Nemzet“ stellt Erscheinen ein.

Wenige Tage nach dem erneuten Wahlsieg von Ministerpräsident Viktor Orbán ereilte die ungarische Presse ein Schlag: Die konservative Tageszeitung „Magyar Nemzet“ wurde am Mittwoch zum letzten Mal publiziert. „Wir stehen noch unter Schock“, sagte der stellvertretende Chefredakteur Zsombor György dem Tagesspiegel. Damit stellte die letzte überregionale Tageszeitung Ungarns, die noch nicht in regierungsnahen Händen ist, ihr Erscheinen ein, offiziell aus finanziellen Gründen. Die Mitarbeiter erfuhren am Dienstag von der Entscheidung des Investors Lajos Simicska. „Magyar Nemzet“ wurde 1938 gegründet und überlebte sowohl das faschistische Horthy-Regime als auch den Staatssozialismus.

Der Fall erinnert an den Verkauf und die Schließung der ebenfalls regierungskritischen „Népszabadság“ im Oktober 2016. Auch damals wurden finanzielle Gründe aufgeführt. Die Zeitung berichtete jedoch regelmäßig über Korruption in Regierungskreisen. Auch die Schließung der „Magyar Nemzet“ hat wohl politische Hintergründe: Inhaber Simicska, ein langjähriger Schul- und Studienfreund Viktor Orbáns, wandte sich 2014 nach einem Zerwürfnis gegen den Politiker. Besonders im vergangenen Wahlkampf wurden investigative Recherchen veröffentlicht, etwa über Korruption von EU-Geldern durch Firmen, die mit Orbáns Schwiegersohn István Tiborcz in Zusammenhang stehen.

Trotz Schikanen der Regierung

Das hatte Folgen: „Die letzten Jahre haben wir mit sehr starken Gegenwind kämpfen müssen“, sagte der stellvertretende Chefredakteur György. Fidesz-Politiker haben mit Journalisten der Zeitung nicht mehr gesprochen, und es soll laut György mehreren Behörden verboten worden sein, die Zeitung weiter zu abonnieren. Die Auflage sank seit 2014 um die Hälfte auf etwa 15 000 Exemplare.

Nach der Wahl am 8. April scheint der Investor überzeugt zu sein, dass es sich nicht mehr lohne, im System Orbán Geld in eine kritische Presse zu investieren. Auch das zu Simicska gehörende Lánchíd Rádió stellte seinen Betrieb am Dienstag ein. Der Fernsehsender Hír TV bleibt, mit Einschränkungen, bestehen.

Nach dieser Entscheidung bangen auch die wenigen übrigen regierungskritischen Medien um ihre Zukunft. Öffentlich-rechtliche Sender und regionale Zeitungen in Ungarn transportieren die Standpunkte der Regierung, aber es gibt noch einige reichweitenstarke und unabhängige Onlinemedien. Auch der quotenstarke Fernsehsender RTL Klub, der zur deutschen RTL-Gruppe gehört, konnte bisher trotz Schikanen der Regierung, wie einer erhöhten Werbesteuer, eine kritische und objektive Berichterstattung aufrechterhalten.

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