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Medien: Liebe, die Leiden schafft

Jo Baiers Film „Verlorenes Land“ über die Glückssuche von Maria und Jean-Pierre im Bayern der Nachkriegszeit

Von Thilo Wydra

Da sind zwei, die lieben sich. Die haben sich erkannt, und vielleicht, ja vielleicht sind sie ja sogar füreinander bestimmt. Maria (Martina Gedeck) und Jean-Pierre (Merab Ninidze). Sie lebt mit ihren Schwiegereltern (Monica Bleibtreu und Rüdiger Hacker) und ihrem Sohn irgendwo im Bayerischen auf einem Bauernhof, den sie alle miteinander bestellen. Er, der ehemalige französische Kriegsgefangene, arbeitet auf diesem Hof. Eigentlich ist Maria verheiratet, mit Hans.

Doch Hans zog schon kurz nach der Heirat in den Krieg und geriet in russische Gefangenschaft, und nun, bereits in den 50ern, weiß noch immer niemand, ob Hans überhaupt noch lebt. Maria vermisst ihn nicht. Nur seine Mutter hofft noch immer auf eine überraschende Rückkehr des verlorenen Sohnes, und sie duldet Jean-Pierre eher, als dass sie ihn akzeptiert. Eine Zeit lang sind sie überglücklich, die Maria und ihr Jean-Pierre, der sie zärtlich „mon amour“ nennt, was sie immer ganz anrührt, „Ja mei, is des schö!“, ruft sie dann verzückt aus. Oder er erklärt ihr, woher er stammt, zeichnet mit dem Bleistift auf dem Zeitungspapier den Weg aus Bayern über Paris in die entlegene Bretagne nach.

Dann kommt der Brief. Mutter nimmt ihn entgegen, und dann liest ihn die Maria, diesen offiziellen Brief, und dann sieht man sie übers Feld rennen, hin zu ihrem Jean-Pierre und ihrem Sohn Karl, die gerade das Heu einfahren. Sie rennt. Sie schreit. Sie bebt. Ist außer sich. Von Sinnen. Jean-Pierre! Jean-Pierre! Dann drückt sie ihm den zerknitterten Brief an die Brust, da, lies!, und Jean-Pierre liest, dass Marias Mann Hans zurückgebracht wird. Aber ich brauche dich doch zum Leben, schreit sie, fleht sie, krallt sich in ihn hinein, so, als ob sie sich vor dieser Welt verstecken wolle. Und bald schon bringt der Bürgermeister mitsamt Bürgerschar den debilen, geistig abwesenden, schwer geschädigten Hans auf den Hof. Maria steht vor einem Fremden, der ihr in den Knien wegsackt, ihr und der Mutter in die Arme. Es wird nun ein Leben mit einem Pflegefall werden. Jean-Pierre verlässt den Hof, die Liebenden sehen sich fortan nur noch selten, im Hotel in der Stadt, für gestohlene Stunden.

Doch als Maria eines Tages wieder die Treppe ins Krankenzimmer hochsteigt, zu ihrem Mann, der längst nicht mehr ihr Mann ist, da zieht sie das Kopfkissen unter seinem Kopf hervor und drückt es ihm ins Gesicht. Dann tritt sie die Reise an, die Jean-Pierre ihr damals aufs Zeitungspapier malte, ihre Reise in die Bretagne. Und irgendwann hat sie ihn gefunden, steht vor ihm. Zeit ist inzwischen vergangen. Sie liebt ihn immer noch. „Ich kann nicht ohne ihn leben“, hat sie ihrem Sohn Karl vor der Abreise noch gesagt. Jean-Pierre ist inzwischen verheiratet, seine Frau ist schwanger. Eine Katastrophe bahnt sich an.

Jo Baier („Wambo“, „Der Laden“) hat mit „Verlorenes Land“ (ARD, 20 Uhr 15) einen wunderbaren Liebesfilm gedreht, ein tragisches, niemals kitschiges Nachkriegs- Drama, dessen äußerer Rahmen zwar die Jahre des Aufbaus, der Entsagung sein mögen, dessen Herz aber eine subtile Beobachtung einer Liebenden ist. Alles scheint in dieser Geschichte nach Bernd Schroeders Roman „Versunkenes Land“ enthalten: Liebe, Tod, Abschiede, Neubeginn. Unprätentiös inszeniert der 53-jährige Grimme-Preisträger diese großen Dinge des Lebens: Dieses innere Zerrissensein Marias, die plötzlich zwischen zwei Männern steht und schicksalhaft von ihrer Liebe getrennt wird, dieses bangende Hoffen der Mutter, und immer wieder der Tod, der mehrfach anklopft.

Von tiefer Melancholie und erdiger Bitterkeit ist dieses glaubwürdige, bewegende Drama durchdrungen, für das Kameramann Peter von Haller unaufdringliche, oft mit der Handkamera gedrehte Bilder findet, die von einer Atmosphäre des latenten Abschieds geprägt sind. Über verfehlte Lebens-Möglichkeiten geht „Verlorenes Land“, über den falschen Zeitpunkt einer Liebe, über das Sich-Erkennen und das Sich-Verpassen, und darüber, wozu man als Liebender fähig ist.

Jo Baier will nicht amüsieren oder leicht unterhalten, er scheut die Schwere nicht, den Schmerz. Und mit Martina Gedeck und Monica Bleibtreu hat er zwei Schauspielerinnen, die in ihrem äußeren Minimalismus eine größtmögliche Präsenz des Inneren erwirken. Und wenn auch Charles Trenets Chanson-Klassiker „La mer“ etwas zu oft und zeigefingerhaft - Achtung, es französelt! - ertönt: Jo Baier hat noch einen schönen Film gemacht, still, leise, wie ein Fels in der tosenden Fernseh-Brandung.

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