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Medien: Literaten nach Redaktionsschluss

Am Tag Fakten, abends Fantasie. Journalisten benutzen in ihren Romanen den Medienalltag gern als Milieustudie

Eitelkeit und Geltungssucht, ein Intendant mit der Schnapsflasche im Schrank, diktatorische Chefredakteure: Wenn Journalisten Romane schreiben, entführen sie die Leser oft hinter die Kulissen eines fiktiven Redaktionsbetriebs. Nach Feierabend kehren sie den Fakten den Rücken und lassen ihrer Fantasie freien Lauf. Was dabei herauskommt, ist häufig das Bild eines von Intrigen geprägten Berufsalltags. Was veranlasst Journalisten dazu, über ihre eigene Zunft zu schreiben?

Alexander Gorkow, der die Wochenendbeilage der „Süddeutschen Zeitung“ leitet und derzeit auf Lesereise für seine kürzlich erschienene Mediensatire „Kalbs Schweigen“ ist, hat sein Buch in der Redaktion einer Fernseh-Produktion angesiedelt. Die Hauptfigur, der Moderator Joseph Kalb, ist der Star einer wöchentlichen Talkshow, bis er in einer Live-Sendung plötzlich verstummt und damit einen heftigen Medienrummel auslöst. Er habe das „Geschwätz, das in den Talkshows stattfindet, näher heranholen wollen“, sagt Gorkow. Und er spart nicht mit bösen Betrachtungen der Branche. Journalisten vergleicht er mit Tauben, die sich vom Dreck ernähren, ihn unkontrolliert wieder ausscheiden und Krankheiten verbreiten.

Der jüngste Medienroman stammt aus Berlin, von Jenni Zylka. Die „taz“-Kolumnistin beschreibt in „1000 neue Dinge, die man bei Schwerelosigkeit tun kann“ jenen Teil der Medien, der mit Glanz und Glamour wenig zu tun hat. Ihre Protagonistin, die Berlinerin Judith Herzberg, ist Textredakteurin eines Fernseh-Hausfrauenmagazins. Den Beruf erträgt sie nur durch eine bunte Freizeitgestaltung, die Schilderung des Großstadtmenschen Herzberg steht im Vordergrund der Geschichte.

Gundolf Freyermuth hat über zehn Jahre für „Spiegel“, „Stern“ und „Zeit“ gearbeitet. In seinem Krimi „Perlen für die Säue“ rechnet er mit den Hamburger Elitemedien ab. Seine Schilderungen einer Hamburger Illustrierten-Redaktion sind „typisch für den industriellen Printjournalismus“ der 80er und 90er, sagt Freyermuth, der das Buch unter dem Namen Peter Johannes veröffentlicht hat und damit eine klare Trennung zwischen dem Schriftsteller und dem Journalisten Freyermuth deutlich machen will. Im Mittelpunkt seines Romans steht der Mord an Wolfgang Wedel-Mayer, dem Chefredakteur des fiktiven Blattes „Die Wichtige“. Wedel-Mayer ist einer, für den „Realität eine knetbare Masse darstellt“, heißt es im Buch. Freyermuth, der vor einigen Jahren der Hamburger Journaille den Rücken kehrte, begreift das Schreiben von „Perlen für die Säue“ als Katharsis. Mit Wedel-Mayer habe er sein berufliches Ich umbringen wollen. Jahrelang habe ihm die Figur eines machthungrigen, intriganten Chefredakteurs zu denken gegeben, „bis ich ihn eben umbrachte“.

Hellmuth Karasek, Mitherausgeber des Tagesspiegel und zuvor mehr als 20 Jahre beim „Spiegel“, zeigt in „Das Magazin“ das intrigante Treiben in der Redaktion eines Hamburger Nachrichtenmagazins. „Ich habe versucht, einen bestimmten Journalismus von innen heraus zu beschreiben“, sagt Karasek. Um das Beschreiben von Machtstrukturen sei es ihm dabei gegangen.

Doch nicht nur Zeitungs- und Zeitschriftenmacher greifen nach Redaktionsschluss in die Computertastatur. In einen Prozess vor dem Arbeitsgericht mündete ein Krimi des Südwestrundfunk-Redakteurs Gunter Haug. Darin bezeichnet er eine Sendeanstalt als „Spätzlesender“, seine Mitarbeiter als „Fernsehbeamte“.

Das Bild der eigenen Zunft, das Journalisten dem Leser vermitteln, ist in der Regel kritisch und böse. Hans Kleinsteuber, Journalistik-Professor an der Universität Hamburg, hat mehrfach über Medienromane aus Journalistenfeder geschrieben. Eine seiner Erkenntnisse: An Klischees wird nicht gespart. Kettenraucher, hochnäsige Gesellschafts-Reporterinnen und profitgierige Verleger sind stets wiederkehrende Personen in Journalistenromanen.

Bei den Büchern hat Kleinsteuber verschiedene Typen festgestellt. Nicht nur Mediensatiren und Schlüsselromane seien in den vergangenen 20 Jahren vermehrt erschienen. In zahlreichen Krimis träten Journalisten auch als Ermittler, Aufklärer und hartnäckige Rechercheure auf, die für das Gute kämpfen. Erfolgreiche Beispiele sind die zahlreichen Krimis von Jacques Berndorf (das Alter Ego des früheren „Spiegel“- und „Stern“-Reporters Michael Preute) und die Ruhrpott-Thriller der WDR-Fernsehreporterin Gabriella Wollenhaupt.

Im Roman können Journalisten endlich das tun, was ihnen im Beruf streng untersagt ist: Sie dürfen den Fakten den Rücken kehren. In den Büchern kommen oft vom Zeilenlimit frustrierte Journalisten vor, sagt Hans Kleinsteuber. „Da sitzen Journalisten vor dem Computer, die vor ihren Texten verzweifeln und sich wünschen, mehr Zeit zu haben, um einen Roman zu schreiben.“ Beate Wedekind, Ex-Chefredakteurin von „Gala“ und „Bunte“, sieht darin einen Grund, dass Journalisten Romane schreiben. „Für einen 50-Zeilen- Schinder ist es sicher ein großer Triumph, die große Form zu beherrschen.“ Die Motivation für ihr eigenes Werk „Um jeden Preis“ macht sie am journalistischen Arbeitsethos fest. „Ich glaube, dass Journalisten schlicht und einfach den Drang verspüren, das zu Papier zu bringen, was sie wissen.“ Jedes Detail aus ihrem Buch, in dem es um die Hautevolee und Society-Reporter geht, habe sie während ihrer Tätigkeit als Reporterin erlebt oder recherchiert, sagt Wedekind.

Das Interesse an solchen Geschichten ist da. „Die Nachrichten“ von „Spiegel“-Autor und „Berliner-Zeitung“-Kolumnist Alexander Osang wurde ebenso zu einem Bestseller wie Karaseks „Das Magazin“.

Der literarische Output von Journalisten steigt – und das hat vielleicht auch etwas mit der Medienkrise und der gestiegenen Arbeitslosigkeit zu tun. Wissenschaftler Kleinsteuber schätzt, dass mittlerweile rund ein Viertel aller jährlich in Deutschland erscheinenden Krimis von Journalisten verfasst werden. Medienthriller verkauften sich inzwischen auch besser als solche aus dem Polizeibetrieb. „Journalisten würden mit Abenteuer, Sex und Glamour in Verbindung gebracht“, so Kleinsteuber. Daher eigneten sie sich als Ermittlerhelden besser als „Polizeibeamten des gehobenen Dienstes“. Das weiß auch Berufs-Aussteiger Freyermuth. Er fährt bei aller Kritik weiter auf dem Medien-Karussell. Das Drehbuch zu „Perlen für die Säue“ hat er soeben fertig gestellt. Die Verfilmung ist für 2004 geplant.

Thorsten Wiese

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