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Leipziger Buchmesse

© ddp

Literatur im Fernsehen: Eros oder Ekel?

In Deutschland hat Charlotte Roches Roman "Feuchtgebiete" die Gemüter gespalten, nun kommt ihr Buch nach Frankreich. Grund genug für den deutsch-französischen Kultursender Arte, nach den "Feuchtgebieten“ in Deutschland und Frankreich zu suchen.

Von Caroline Fetscher

Eine junge Frau erkundet sich selbst, vorwiegend auf dem Weg über ihre Körpersäfte, Leibesöffnungen und Erregungszustände. Eher autoerotisch, denn als erotische Autorin. Sie findet ihre „Muschiflora“ wichtig, bekennt sie bei Lesungen vor Hunderten von Fans. Vor der Kamera erklärt Charlotte Roche, geboren 1978, sehe sie gern „streng“, sogar „konservativ“ aus, als Kontrast zu ihren provokativen Texten. Wie ihre Ich-Erzählerin Helen Memel fordert Roche, ein Leib, ein weiblicher zumal, solle ruhig stinken dürfen, anstatt duften zu müssen. Deodorants und andere Tuschwässerchen seien Ausdruck des Terrors wider das Kreatürliche, Natürliche.

Gut 900 000 Mal hat sich der Roman „Feuchtgebiete“ von Charlotte Roche in Deutschland verkauft. Gepriesen wurde das Werk als couragierter Tabubruch, verschrien als verirrte Geschmacklosigkeit in Buchform. Seine Verteidiger beharren darauf, es habe „den Nerv der Zeit“ getroffen, die Verkaufszahlen seien der klare Beleg. Lizenzen für Roches „Feuchtgebiete“ wurden in 30 Länder verkauft, darunter Frankreich, das Gebiet der Parfums, der Eleganz, des Esprits und der Mode. Am Freitag kommt „Zones humides“ auf Französisch heraus, Arte hat mit der Regisseurin Hilka Sinning in ihrem Film „Feuchtgebiete erforschen“ vorausgefragt, was so eine Kollision ästhetischer Kontinente auslösen könnte.

Die Regie überblendet Perspektiven aus beiden Ländern. Zu sehen sind auf der einen Seite, in Deutschland, die staunenden Zuschauer bei Lesungen, die der kokett-naiven Roche an den Lippen hängen, einer ehemaligen Popmusik-Moderatorin, die ihr verbales Handwerkszeug mal anrührend kindlich, mal dreideutig schwebend und dann wieder koboldhaft im Griff hat. Als Befreierin empfinden viele der jungen Frauen ihr postfeministisches Idol, das mit den eigenen Körperteilen ein wenig umzugehen scheint wie mit fremden, von anderen denunzierten Spielsachen, deren sinnlicher Gebrauch sich so aneignen lässt wie die Kenntnis eines verbotenen Glücksspiels.

Auf der anderen Seite, in Frankreich, wo eine Werbefirma im Internet den „Auftritt“ von Buch und Heldin akribisch vorbereitet, soll das Familiendrama der „Feuchtgebiete“ in den Vordergrund rücken: Ein zerrissenes Scheidungskind, einsam mit sich befasst. Frédéric Beigbeder, Schriftsteller und großer Fan der „Charlotte“, empfindet den „ökologischen“ Aufschrei der „Feuchtgebiete“ als einen Aufstand gegen die sterilen Ideale von Frauenzeitschriften, die „in gewisser Hinsicht ein später Sieg Hitlers“ seien. Skeptisch bis abgestoßen reagiert jedoch die „Elle“-Redakteurin Pascale Frey: Non, das biete „kein Lesevergnügen“, sie habe sich „sehr geekelt“.

Was auch immer über die Qualitäten und Defizite dieser deutschen „Feuchtgebiete“ gesagt wird – ihre Rezeption bietet eine ergiebige, spannende Informationsquelle. Im Subtext macht das Thema wunderbar deutlich, wie verschieden Europas Landschaften immer noch sind, die feuchten wie die intellektuellen. Ein feiner Film. Caroline Fetscher

„Feuchtgebiete erforschen“, Arte,

22 Uhr 40

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