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"Die Islamdebatte: Wo endet die Toleranz?" Darüber diskutierte Sandra Maischberger.

© ARD

Update

Maischberger-Talk zur Islamdebatte: Eine Muslima als Kanzlerin? Greenpeace mit Kreuz?

Die Sendung nach dem Shitstorm: Anders als Houellebecqs „Unterwerfung“ bringt die anschließende Diskussionsrunde bei Sandra Maischberger wenig neue Impulse. Der Talk interessierte mehr Zuschauer als der Film davor.

Auf das Fernsehereignis des Jahres, das die meisten Kritiker in der Fernseh-Umsetzung von Michel Houellebecqs „Unterwerfung“ gesehen haben, folgte am Mittwoch mit Sandra Maischbergers Talkrunde die Ernüchterung des Abends. Bereits am Tag vor der Sendung hatte sich abgezeichnet, dass sich die Leichtigkeit, mit der Edgar Selge den Pariser Literaturprofessor Francois in Bühnenstück und Fernsehfilm darstellte, nicht zwangsläufig auf die anschließende Gesprächsrunde fortsetzen würde.

So wurde das Thema des Talks von „Sind wir zu tolerant gegenüber dem #Islam?“ unnötiger Weise in „Die Islamdebatte: Wo endet die Toleranz?“ abgeschwächt, wofür die Maischberger-Redaktion sogleich einen kleinen Shitstorm kassierte. Der dadurch verstärkt wurde, dass der Runde kein Vertreter der AfD angehörte – was der Sendung allerdings weder geschadet noch genutzt hätte, weil sich die Diskutanten auch ohne deren Positionen in einer Debatte um Symbole verhakte.

Immerhin verteidigte Sandra Maischberger eisern ihren Begrenzungslinien: aus dem Talk sollte keine weitere Diskussion über die Flüchtlingspolitik werden und der Fokus sollte auf dem Islam in Deutschland liegen.

Mehr Zuschauer beim Talk als beim Film

Die Runde bei Sandra Maischberger interessierte am Mittwochabend 2,41 Millionen Zuschauer, der Marktanteil betrug 9,9 Prozent. Damit schnitt die Talksendung sogar deutlich besser ab als der vorausgehende Film. Mit 1,92 Millionen Zuschauern und einer Quote von 7,4 Prozent liegt die Umsetzung des Bestseller-Romans nur im Quoten-Mittelfeld.

Die Bundeslandwirtschaftsministerin und stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende Julia Klöckner beschleicht keine Angst vor einer Islamisierung Deutschlands. Allerdings müsse auf ernst zu nehmende fundamentalistische Tendenzen geachtet werden. „Ich habe die Sorge, dass am Ende die Frauen die geforderte Religionsfreiheit des Islam zu bezahlen haben“, sagte die CDU-Politikerin.

Haluk Yildiz ist Gründer der Migrantenpartei Bündnis für Innovation und Gerechtigkeit, für die er im Bonner Stadtrat sitzt. Für ihn läuft die Diskussion über andere Religionen in Deutschland in eine verkehrte Richtung. Vor 9/11 seien die Migranten vor allem als Gastarbeiter angesehen worden, mittlerweile wird deren Religion stigmatisiert, obwohl inzwischen die dritte oder vierte Generation hier lebt und Deutschland als Heimat betrachtet. „Ich habe kein Verständnis für die Debatten, die hier geführt werden“, sagte Yildiz.

Zum Eklat zwischen dem türkischstämmigen Politiker und Klöckner kommt es beinahe, als er der CDU-Frau vorwirft, er vermisse das Christliche bei ihr, sie stehe mit ihren Ansichten zudem nicht auf dem Boden des Grundgesetzes. Dagegen verwehrt sich Klöckner - als Bundesministerin, die den Eid auf die Verfassung abgelegt hat - auf Schärfste. Zuvor hatte sie gesagt, die Menschen, die nach Deutschland kommen, wissen genau um das Gute in diesem Land, es dürfe jedoch keine Rosinenpickerei geben.

Houellebecqs Gedanken eines muslimischen Staatschefs hält die Soziologin und Publizistin Necla Kelek jedenfalls für nicht völlig ausgeschlossen. Vor zwanzig Jahre hätte auch niemand gedacht, dass so jemand wie Erdogan in der Türkei an der Macht sein könnte und dass in Deutschland ehemalige Gastarbeiter für einen solchen Despoten auf die Straße gehen würden. Für Yildiz waren ihre Äußerungen ein weiteres Beispiel von Stigmatisierung und pauschaler Diffamierung des Islam.

Keine Gesellschaft wie Saudi Arabien

Angst vor einem politischen Islam hat die „taz“-Journalistin Bettina Gaus nicht, sie glaubt an die Wirkung geltender Gesetze. Aber auch aus kulturellen und anderen Gründen hält sie eine Verwandlung der Bundesrepublik in eine Gesellschaft wie Saudi Arabien für absurd. Bettina Gaus wäre eine Muslima als deutsche Bundeskanzlerin je nach politischer Haltung ebenso lieb und wert wie ein tief verwurzelter Christ als Regierungschef, entscheidend sei die Richtschnur der Verfassung.

Ein Teil des Unbehagens über Muslime in Deutschland stammt für den „Spiegel“-Autor Jan Fleischhauer daher, dass diese Menschen Religion noch wirklich ernst nehmen. „Das haben wir uns im Grunde abgewöhnt.“ Bei uns gebe es eher eine homöopathische Form von Religion, so etwas wie Greenpeace mit Kreuz.

Bezeichnend ist für ihn, dass die schärfste Kritik an Söders Kreuzerlass für bayerische Amtsstuben von Kardinal Reinhard Marx kam, der darin einen spalterischen Akt gesehen habe. Genau mit dieser Diskussion schloss Sandra Maischberger dann später die Diskussion. Zuvor jedoch wurde besonders ausführlich über den Verzicht auf Schweinefleisch in Kitas und Schulen und die Kopftuch-Debatte gestritten.

Wo fängt Selbstaufgabe einer Gesellschaft an und wo hört Rücksichtnahme auf die religiösen Gefühle von Minderheiten auf? Die Maischberger-Runde brachte anders als das Szenario in „Unterwerfung“ dazu wenig neue Ansätze. Kurt Sagatz

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