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Das Leben ist kein Post-it.  Die taffe Werbefrau Fiona Platt (Claudia Michelsen) muss lernen, dass die Dinge nicht immer nach Plan funktionieren

© ARD Degeto/Kerstin Stelter

Mann geht fremd, Frau hat Idee: Die ARD-Komödie "Seitensprung" ist auch ein Sieg über das Klischee

Was passiert, wenn der Mann fremd geht? Im ARD-Film "Seitensprung" reagiert die Frau wie eine Managerin.

Wut, Tränen und Trennung reichen nicht, wenn der Ehemann der jungen Nachbarin ein Kind gemacht hat. Claudia Michelsen als taffe Werbefrau zeigt im ARD-Film „Seitensprung“, wie man männliche Hüpfer durch Umbau der Familie resozialisiert. Köstlich.

Was sagt eine Ehefrau, wenn sie erfährt, dass die alleinstehende schwangere Popmusikerin von nebenan ein Kind vom eigenen Ehemann erwartet? Fiona Platt (Claudia Michelsen), die Protagonistin dieser Komödie, sagt, nachdem sie ihrem feige schweigenden Gatten (Stephan Kampwirth) die Nase poliert hat, einen Satz, den man so in den melodramatischen Ergüssen der ARD-Schmalz- und -Frauenschicksalsfabrik Degeto nicht erwartet: „Was für ein beschissenes Timing.“ Gerade wollte sie einen großen Auftrag für ihre Agentur an Land ziehen und nun das.

Das mit dem Timing ist ein Wort, das Männer das Fürchten und Frauen Hoffnung lehren sollte. Eine neue Sprache, abstrakt und kalt wie das Eis der Organisationswissenschaft. Eine Frau lässt nicht einfach ihren verletzten Gefühlen freien Lauf und folgt nicht destruktiven Wallungen der betrogenen Gattin, die wir aus tausendundeiner Geschichte kennen. Fiona, die gefragte Marketingspezialistin, die Jägerin nach Werbeaufträgen für ihre Agentur, wendet auch im Privaten an, was sie im Job gelernt hat: Strukturgrenzen überschreiten, Unmögliches möglich machen, Härte zeigen, die Unbeweglichen mobilisieren. Den Kopf oben behalten.

Die betrogene Ehefrau reagiert wie eine Managerin

Und, siehe da, aus der Betrogenen wird keine blinde Rächerin, sondern Lenkerin auf den Schicksalswogen. Die Schwangere von nebenan (Birte Hausrichter) wird zur Umsiedlung in das Haus der Betrogenen gezwungen – ein Zwangsabschied aus der Bohème versiffter Gestalten, die rücksichtslos vor sich hin qualmen und wohl zuletzt vor hundert Jahren aufgeräumt haben. Dem Ehemann wird beschieden, dass sein Fehltritt nicht, wie er es sich das bequem vorgestellt hatte, mit der Zahlung von Alimente aus der Welt geschafft würde. Er muss an der Seite seiner Neu-Nebenfrau unter Fionas Aufsicht einen richtigen Vater geben – Schwangerschaftsgymnastik und Mithecheln inklusive. Für Fionas eheliche Kinder weht ein strengerer Wind. Die bei ihrer Tochter mitlebende 68er-Oma (Maren Kroymann) muss sich dem neuen Regime anpassen und gefälligst auf ihren Grasbeutel aufpassen, von dem die Enkelin heimlich genommen hat, was in der Schule unangenehm auffiel.

Es geschieht in diesem Film (Buch: Verena Bird, Regie: Sabine Boss), was sonst gerne als Schreckgespenst ausgemalt wird: Managementregeln bestimmen die Organisation der Familie, nicht das hergebrachte, undurchsichtige Gefühlskuddelmuddel dieses ach so autonomen Gebildes.

Und, oh Wunder: Die Zwangsumstrukturierung, die Fiona zu Anfang mit Power-point-Vorträgen und einem strengen Regelwerk dekretiert, schafft kleines Glück. Die Kinder freuen sich über die Bereicherung. Die werdende Mutter und Künstlerin Julia mischt mit den Ex-Kumpeln von nebenan die amusische Neufamilie auf. Der untreue Mann lernt bei diesem Seitensprung, was es heißt, verlässlicher Vater zu werden. Und Julia, die Stifterin der herbeiorganisierten familiären Zufriedenheit im Patchwork-Gewand, drückt zwar so manche Träne im Verborgenen weg, gewinnt aber immer mehr an Statur. Kein feministisches Selbstmitleid kommt ihr über die Lippen, kein Gejammer verhindert die eingeleiteten Maßnahmen.

Der Film überwindet das Klischee

Mit Claudia Michelsen in der Hauptrolle hat dieser das Klischee überwindende Film die ideale Besetzung gefunden. Die Darstellerin gestattet sich kein Ausbrechen in die Karikatur. Hinter der Strenge als Patchwork-Oberhaupt schimmern – wie sollte es anders sein? – Traurigkeit, Glück und Herz durch. Die gelungenen Szenen, die Fiona im Job zeigen und in denen sie sich als selbstbewusste und immer charakterstärkere Kämpferin mit dem Obersponsor (stark: Philippe Brenninkmeyer) erweist, strahlen natürlichen Ernst aus – auch in der Werbung kann ein bisschen mehr Wahrheit siegen. Man muss das nur wagen.

Melancholisch, aber sehr wahr klingt die Quintessenz, die Fiona irgendwann ausspricht: „Erfolgreich ist die Frau, die sich ein Nest baut aus den Ziegeln, die man ihr an den Kopf wirft.“

„Seitensprung“, ARD, am Freitag um 20 Uhr 15

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