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Eine Legende: Marianne Faithfull.

© Arte

Marianne Faithfull: Alles begann mit Tränen

Mit dem Song "As Tears Go By" wurde sie groß: Sandrine Bonnaire dreht für Arte einen Dokumentarfilm über die englische Sängerin Marianne Faithfull.

Alles beginnt, als sie 17 ist. Es ist das Jahr 1964, und die sehr junge, vollkommen unbekannte Frau, die eigentlich noch ein Mädchen ist, wird in einem Club entdeckt. Alle sind betrunken. Es ist laut. Man will von ihr wissen, ob sie denn auch singen könne. Aus dieser Situation heraus ergibt sich die erste Single mit dem Song „As Tears Go By“. Komponiert wird der Song von Mick Jagger und Keith Richards. Die junge Sängerin heißt Marianne Faithfull. 1965 heiratet sie den Künstler John Dunbar, mit 18. Im selben Jahr kommt Sohn Nicholas zur Welt. Schon 1967 verlässt Marianne Faithfull ihren Ehemann, geschieden wird die Ehe drei Jahre später. „Ich kann wohl nicht mit anderen zusammenleben“, sagt Marianne Faithfull in Archivaufnahmen, die Filmautorin Sandrine Bonnaire in ihren dritten Dokumentarfilm montiert.

Bonnaire, Schauspielerin aus Frankreich und Star in Filmen etwa von Claude Chabrol oder Patrice Leconte, begibt sich erneut auf die andere Seite hinter der Kamera und porträtiert einen berühmten Menschen. In ihren ersten beiden Dokumentarfilmen waren es ihre autistische Schwester Sabine und der französische Sänger Jacques Higelin. Die Schauspielerin Bonnaire zeichnet das Leben der Sängerin Faithfull nach. Sie macht dies im gängigen Format, indem sie alte Materialien mit neu gedrehten kombiniert, indem sie die Faithfull des Jahres 1964 und die der Gegenwart hintereinanderweg zu Wort kommen lässt, indem sie Konzertmitschnitte durch all die Jahrzehnte hindurch zwischen die von ihr neu geführten Gespräche montiert. Auffällig ist, dass der Star ihr einziger Gesprächspartner ist. Niemand sonst kommt zu Wort. Ihr Sohn Nicholas ebenso wenig wie bekannte Weggefährten oder unbekannte Freunde. Dadurch ruht der Film sehr auf Marianne Faithfull. Konzentriert sich auf sie, auf ihre vielen Gesichter und auf diese sehr raue Stimme.

„Das Leben riss mich so schnell mit sich fort, dass kaum Zeit dafür war, ein Kind zu haben. Es war schwer.“ Sie erzählt von der Zeit, als sie Mutter war, alleinerziehend und von der englischen Gesellschaft unverstanden. Und zugleich Sängerin. Erfolgreiche Sängerin. Dann werden sie und Mick Jagger ein Paar. Alles dreht sich fortan nur noch um ihn, sie gibt ihre künstlerische Karriere nahezu vollständig auf. Marianne Faithfull und Mick Jagger sind vier, fünf Jahre zusammen. Es ist eine einzige Achterbahnfahrt: „Ich dachte, wenn ich mit ihm zusammenbleibe, sterbe ich. Ich konnte dieses Leben nicht führen. Es war zu viel für mich.“

Wieder eine Trennung. Dann die schwere Drogensucht. Sie wird abhängig vom Heroin, ist sogar zwei Jahre lang obdachlos. Und schafft es, von allem wegzukommen. Doch immer wieder markieren starke Einbrüche die wenig lineare Biografie dieser Frau. Als sie in den 1980er Jahren in New York lebt und sehr unglücklich ist, versucht sie sich das Leben zu nehmen. Immer wieder steht sie auf. Es ist bis heute so: mehrere Krankheiten hat Marianne Faithfull hinter sich, ist immer wieder ganz von der Bildfläche verschwunden, bis sie erneut die Bühne betrat. Die Bühne ihrer Musik.

Was erwartet sie heute noch?, fragt Sandrine Bonnaire die Faithfull, nachdem diese darüber gesprochen haben, dass sie früher sehr sehr stolz gewesen sei und hoffe, ein wenig davon abgelegt zu haben. Was also erwarte sie – mit über 70 Jahren? Und die Sängerin, die Ikone des Swinging London, die im dunklen Pullover im Sessel sitzt, in einem relativ abgedunkelten Raum ihrer Pariser Wohnung, antwortet mit einem sanften Lächeln und mit langen Pausen an zwei Satzstellen: „Ich schätze, das Einzige, was ich irgendwie erwarten könnte … wäre Befreiung. Von meinen Ketten.“ Thilo Wydra

„Marianne Faithfull – Der raue Glanz der Seele“, Arte, Freitag, 22 Uhr

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