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Bernd Matthies

© Kai-Uwe Heinrich

Matthies meint: Scheibenwischer: Jetzt aber Haltung annehmen!

Politisches Kabarett – brauchen wir das noch? Ist es nicht eher öde, wenn hundert Grauköpfe zweierlei Geschlechts bei Pinot Grigio und Klampfenmusik an wackligen Tischen sitzen und schier platzen wollen vor Heiterkeit, sobald der Mann auf der Bühne nur das Wort „Westerwelle“ auszusprechen beginnt?

CDU und SPD machen gegenwärtig praktisch deckungsgleiche Politik, und doch wird von einem ordentlichen politischen Kabarettisten erwartet, dass er nach alter Art die einen verhöhnt und die anderen verschont, das ist ein verdammt kompliziertes Manöver. Stoiber, hähä. Merkel, haha. Von der Leyen, hoho.

Kein Wunder, dass die lachbereiten TV-Zuschauer abwandern und sich lieber zu Mario Barth ins Olympiastadion setzen. Wer wollte sich inhaltlich nicht anschließen, wenn Barth tief einatmet und „Ich son Hals!“ sagt? Es gibt deshalb Zank zwischen Deutschlands führenden Politikerverspottern. Dieter Hildebrandt, der Ayatollah der Branche, hat seinem Nachfolger Mathias Richling kürzlich den Markennamen „Scheibenwischer“ weggenommen, weil dessen Konzept irgendwie nach Unterhaltung rieche, wo doch Haltung gefragt sei. Und Richling keilt nun zurück, schmäht den Altvorderen als „Fundamentalisten“ und „SPD-hörig“, als einen, dessen Mission mit dem Wahlsieg Brandts 1972 erfüllt gewesen sei.

Da ist was dran. Jedenfalls ist wenigstens mal Stimmung in der muffigen Bude. „Scheibenwischer“, liebe Kinder, das war damals, als das Internet noch „Zeitung“ hieß und es in der Macht eines einzelnen Kabarettisten lag, Projekte von der Größe des Rhein-Main-Donau-Kanals ins Wanken zu bringen. Franz Josef Strauß, du liebe Güte, irgendjemand musste doch die Leute aufklären, was von solchen Leuten zu halten sei. Ihnen die Maske vom Gesicht reißen, sie dem heilsamen Gelächter preisgeben ... Himmel, schon diese Begriffe, Entschuldigung, wenn es grad ein wenig staubt hier im Archiv. Politisches Kabarett? Tot ist es noch nicht, aber es riecht schon ziemlich streng nach altlinkem Konsenskompott. Es hat sich so weggesendet, weil jede Änderung das komplizierte Sendergefüge erschüttert hätte, nach dem ein SPD-nahes Kabarettprogramm durch ein CDU-geneigtes Wirtschaftsmagazin ausbalanciert sein muss und ein katholischer Toningenieur durch einen freikirchlichen Personalreferenten. Wie? Dafür haben wir überall nur noch Barth? Da ist leider was dran.

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