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Steve Coll, Dekan der Columbia Journalism School, hat den Bericht des „Rolling Stone“-Magazins über die angebliche Gruppenvergewaltigung analysiert. Foto. Reuters

© REUTERS

MEDIA Lab: Flucht nach vorn

Das „Rolling Stone“-Magazin lag mit einem Beitrag über eine Gruppenvergewaltigung arg daneben. Doch das Heft hat aus seinen Fehlern gelernt.

Das Magazin „Rolling Stone“ erlebte mit seiner im November 2014 veröffentlichten Geschichte über eine Gruppenvergewaltigung auf dem Gelände der University of Virginia („A rape on Campus“) ein rufschädigendes Debakel, als sich herausstellte, dass die Geschichte so nicht gewesen sein kann. Das Magazin ertränkte sich dann aber nicht in Rechtfertigungen, sondern beauftragte die renommierte Columbia University Graduate School of Journalism, aus Forscherperspektive zu analysieren, was falsch lief, wie es so weit kommen konnte, wie das künftig zu vermeiden ist und was sich daraus generell für Recherchen über Vergewaltigungen lernen lässt. Anfang April wurde der 42 Seiten lange Bericht veröffentlicht, für den die Wissenschaftler offenen Zugang zur Redaktion und zum kompletten Recherchematerial der Autorin erhielten. Die Forscher bestätigen zwar, dass Autorin Sabrina Rubin Erdely im Grunde korrekt gearbeitet und selber keine Fakten erfunden habe, stellen aber berufsethisch rügenswerte, bedeutsame und vermeidbare handwerkliche Mängel fest.

Versagt haben viele: Die Autorin glaubte zu sehr der Version des Opfers, das sie „Jackie“ nannte. Sie hinterfragte zu wenig, kontaktierte entscheidende Zeugen nicht; die Faktenprüfer im „Rolling Stone“-Magazine glaubten der Autorin zu sehr und hakten an den kritischen Stellen nicht nach und die Redaktion saß offenbar der Plausibilität der Geschichte auf: Nahm man nicht längst an, dass an Elite-Unis genau diese schrecklichen Zustände herrschten, wie sie nun im Umfeld dieser Vergewaltigung offensichtlich schienen?

Zweifelslos ist die Version, die der „Rolling Stone“ veröffentlichte, eine Fehlleistung; das heißt weder, dass nichts passiert ist – die Forscher verweisen auf Ermittlungen der Polizei von Charlottesville, die nach siebzig Zeugenbefragungen nur feststellte, es gebe keine Beweise –, noch dass sexuelle Übergriffe an Hochschulen kein Thema sind, über das sich auch investigativ zu recherchieren lohnt. Zweifellos können von Forscherbefunden auch andere Redaktionen viel für ihre Arbeit profitieren. Und zweifellos ist zudem: Selbst wenn es Flucht nach vorne war – die Art, wie Verlag und Redaktion mit ihrem Scheitern umgehen, ist vorbildlich.

Der Forschungsbericht im Netz:

http://www.cjr.org/investigation/rolling_stone_investigation.php

Marlis Prinzing

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