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Wiedersehen im Onlinestream. Die „Lindenstraße“ (mit Cosmia Viola u. Toni Snetberger) läuft heute schon um 15 Uhr, der gefühlt früheste Sendebeginn seit Serienstart 1985.Foto:WDR

© WDR/Steven Mahner

Mediennutzung: Zwei sind einer zu viel

Fast alle deutschen TV-Serien laufen auch im Internet. Das erfreut die Fans, vor allem, wenn das Erste die "Lindenstraße" schon mal zu ungewohnter Zeit, um 15 Uhr, bringt. Nur: Was macht das mit der Quote?

Hans W. Geißendörfer dürfte diese Woche ganz besonders aufmerksam ferngesehen haben, vor allem das erste Programm. Sein Familienserien-Klassiker, die „Lindenstraße“, läuft an diesem Sonntag wegen der Frauenfußball-WM bereits um 15 Uhr – der gefühlt früheste Sendebeginn seit Serienstart 1985. Wer guckt um diese Uhrzeit Fernsehen? Wenn das Erste diesmal darauf nicht mit Programmhinweisen unter der Woche reagiert, wann sonst? Es könne nicht schaden, wenn die ARD endlich mehr Werbung für die „Lindenstraße“ mache, er käme sich bei der ARD diesbezüglich vor wie ein Bettler, hat Geißendörfer dem Tagesspiegel vor kurzem gesagt, zumal 2010 eines der schlechtesten Quoten-Jahre für die „Lindenstraße“ war.

Um kurz vor sieben also Brasiliens Fußballgöttin Marta im WM-Viertelfinale gegen die USA – statt Enzo (Toni Snetberger), der in der „Lindenstraße“ schon am Nachmittag einen Schlussstrich unter seine dubiose Dreiecksbeziehung mit Marcella ziehen muss. Darüber hinaus dreht gegen 15 Uhr auch noch Formel-1-Star Sebastian Vettel bei RTL seine Runden. Vielleicht sieht die Sache für die Geißendörfer-Produktion aber trotzdem gar nicht so schlecht aus. Den meisten „Lindenstraße“-Fans dürfte das mit der TV-Programmierung egal sein. Stichwort: moderne Mediennutzung, Surfen statt Fernsehen. Im Internet steht die „Lindenstraße“-Folge einen Tag nach der TV-Ausstrahlung sowohl in der ARD-Mediathek wie auch unter lindenstrasse.de zum Abruf bereit und findet dort offenbar immer mehr Liebhaber. Mit fast vier Stunden Nutzungsdauer liegt das Fernsehen zwar nach wie vor an erster Stelle beim Medienkonsum, 44 Prozent der Zeit, in der Jugendliche Medien nutzen, entfallen aber laut Timescout-Studie auf das Internet. Nur 24 Prozent nutzen hier überhaupt noch das Fernsehen.

Offizielle Zahlen zum Stream-Abruf der „Lindenstraße“ legt der WDR nicht vor. Kein Einzelfall. ARD, ZDF, RTL und Sat1 bieten fast alle ihre täglichen oder wöchentlichen deutschen Serien zur Dauerschau in diversen Mediatheken an und wissen offenbar nicht immer so genau, wie sie mit diesem Programmschatz umgehen sollen. Bei der „Lindenstraße“ lässt sich Enzos Liebesleben im Internet sogar ein ganzes Jahr zurückverfolgen. Das erfreut die Fans, drückt andererseits aber auf die Einschaltquote, auch wenn das die Sender nicht bestätigen wollen.

Jüngstes Quoten-Opfer: die Sat1-Daily-Soap „Hand aufs Herz“, die wegen zu geringer Zuschaueranteile nach einem Jahr eingestellt wird. Die Serie lag auf dem werktäglichen Sendeplatz um 18 Uhr unter Sat1-Schnitt beim jüngeren Publikum – im Internet kann die ganze Folge immer und überall angeschaut werden. Die Vermutung liegt nahe: Nimmt sich da der Sender selber Zuschauer weg? „In der Tat ist die Zunahme von digitalen Kanälen ein wichtiges Thema. Dabei sehen wir aber in der zusätzlichen Verbreitung von unseren Inhalten mehr Chance als Risiko“, sagt eine Sat1-Sprecherin. Zum einen werden damit neue Zuschauergruppen generiert, die mit dem klassischen TV nicht immer erreicht werden. „Zum anderen können wir durch das Auswerten der Inhalte auf unseren Plattformen Nutzerströme davon abhalten, auf illegale Plattformen abzuwandern.“ Eine nachweisbare Kannibalisierung des eigenen Programms durch das sogenannte „Online Catch up“ finde nicht statt. Es bleibe in vielerlei Hinsicht ein Stück Bauchgefühl - gepaart mit Feedback über Social Media. Bei „Anna und die Liebe“ (Sat1) oder der ARD-Serie „Rote Rosen“, alles zeitnah auch online abzurufen, scheint für die Sender diese bimediale Rechnung besser aufzugehen als bei „Hand aufs Herz“. Auf RTLnow hingegen kostet eine Folge „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ gleich mal 99 Cent. Da kann wenig kannibalisiert werden.

Fernsehen gucken, im Internet gucken, vielleicht wird es einfach Zeit für eine neue Quotenzählung. Auch die „Lindenstraße“ hat 55 000 „Freunde“ bei Facebook sowie 2000 „Follower“ via Twitter. Produzent Geißendörfer stellte klar, dass seine Serie eine Stammkundschaft von vier Millionen Zuschauern hat, die nach oben hin langsam wegstirbt und unten nicht automatisch erneuert wird. Ein Zwölfjähriger finde die „Lindenstraße“ viel schwieriger als vor 15 Jahren, weil das Konkurrenzprogramm größer ist. Wenn er überhaupt Fernsehen guckt.

„Lindenstraße“, ARD, 15 Uhr

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