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Medien: Medienrepublik (45)

Matthias Kalle will dem Aussterben des Pop-Journalismus mit einer RTL-2-Casting-Show begegnen: „Printstars“ Und das hätte man ja auch beinahe vergessen: Dass es einmal so etwas gab wie Klimaschutz, Ökosteuer, Dosenpfand, Naturschutz, Atomausstieg – hat sich nämlich kein Mensch für interessiert, es gab schließlich Wichtigeres: Reform des Bildungswesens, die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, die Globalisierung, das Ende des Aufschwungs. Oder gehört das am Ende doch alles zusammen?

Matthias Kalle will dem Aussterben des Pop-Journalismus mit einer

RTL-2-Casting-Show begegnen: „Printstars“

Und das hätte man ja auch beinahe vergessen: Dass es einmal so etwas gab wie Klimaschutz, Ökosteuer, Dosenpfand, Naturschutz, Atomausstieg – hat sich nämlich kein Mensch für interessiert, es gab schließlich Wichtigeres: Reform des Bildungswesens, die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, die Globalisierung, das Ende des Aufschwungs. Oder gehört das am Ende doch alles zusammen? Und falls dem so ist – warum schreibt das dann niemand? Im Moment schreiben alle über „die größte Katastrophe Deutschlands“ („Bild“) und darüber, ob der Wahlkampf im Hochwasser von Dresden, Dessau und Grimma geführt werden darf oder nicht. Angela Merkel erklärt den Umweltschutz zur „Chefsache“, sie selbst war ja mal Chefin des Umweltministeriums und der jetzige Chef, Jürgen Trittin, darf endlich wieder in politische Talkshows, wo er nicht mehr über seine politische Vergangenheit oder seinen Aktenkoffer sprechen muss, sondern über die Arbeit, die er in den letzten vier Jahren geleistet hat, und über die Arbeit, die er in den nächsten vier Jahren noch gerne machen möchte. Und uns Journalisten fällt ein, dass wir in einem Land leben, in dem es nicht nur Arbeitslose und dumme Schüler gibt, sondern auch ein ökologisches System.

Immerhin: BSE ist ja abgeschafft, oder?

Was ja jetzt auch abgeschafft ist und niemand gemerkt hätte – wenn es nicht ein Autor in der „Berliner Zeitung“ geschrieben hätte – abgeschafft ist jetzt auch der journalistische Popstar. Hä? Ja ja, denn eine ganze Generation von Journalisten, so der Autor, der wohl auch gerne ein journalistischer Popstar wäre, hätte mal einen neuen Stil kreiert, die Ich-Perspektive, und „ihre Texte strahlten etwas aus…: Seele“. Plötzlich habe es journalistische Popstars gegeben, die seltsamerweise keiner kennt. Und jetzt gibt es, so der Autor, ganz viele Popstars, die arbeitslos sind, weil es das „Jetzt“-Magazin nicht mehr gibt, die „Berliner Seiten“ und auch nicht „Tempo“. Diese ganzen arbeitslosen Popstars seien jetzt vollkommen desillusioniert – es gibt ja nichts zu tun. Ein Popstar schreibt schließlich nicht über das Hochwasser.

Ein Popstar bekommt natürlich eine Kolumne – so wie Thomas Borer-Fielding in der neuen „GQ“ (die nach dem Relaunch aussieht wie etwas, mit dem man sich sogar in einer Hotel-Lobby schämen würde). Borer gibt jedenfalls ordentlich Gas, gleich am Anfang: „Neulich war ich mit meiner Frau bei einem Gemüsehändler in der Berliner Innenstadt.“ Sappalot! – obwohl Popstar, immer noch „down to earth“, wie man unter Kollegen so sagt. Aber Borers Gemüsehändler hat auch eine Gemeinsamkeit mit George W. Bush, nämlich: „positive Ausstrahlung, ein besonderes Charisma.“ Borer kennt natürlich nicht nur seinen Gemüsehändler, sondern auch den amerikanischen Präsidenten – der schüttelte ihm vor fünf Jahren mal kurz die Hand. Schreibt Borer nächsten Monat über seinen Zeitungsausträger und über Lady Di, die er mal im Fernsehen gesehen hat? Warum nicht. Journalistische Popstars können ja quasi über alles schreiben – leider gibt es von denen nur so wenige und bald vielleicht gar keine, denn es werden ja alle entlassen.

Was also tun? Am besten alle Journalistenschulen sofort schließen (gehören eh meist den Verlagen. und die müssen sparen, wo sie können). Stattdessen läuft ab Herbst auf RTL 2 „Printstars“ – die erste Casting-Show für journalistische Popstars. Über mehrere Runden müssen die Bewerber zeigen, was sie auf dem Kasten haben: Interviews erfinden; einen Text schreiben zum Thema „Mein langweiligster Tag in meinem Leben“; mindestens sechs Sätze schreiben, die sich toll lesen, in denen aber überhaupt nix drinsteht.

Die besten zwanzig kommen in ein Camp, da lernen sie, sich lässig anzuziehen, sich an einem Türsteher vorbeizumogeln und, wie man eine Zigarette richtig hält. Und dann dürfen sie schreiben, über was sie wollen. Muss ja keinen interessieren.

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