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Medien: Medienrepublik (69)

Norbert Thomma über die geniale Krisenbewältigung bei „FAZ“ und „Zeit“ Es fehlt Geld. Die fetten Jahre sind vorbei.

Norbert Thomma über die geniale Krisenbewältigung bei „FAZ“ und „Zeit“

Es fehlt Geld. Die fetten Jahre sind vorbei. Verlage sparen, kürzen, streichen, geizen, zwacken… Das gab’s schon einmal. Kollege K., der beim „Schwarzwälder Boten“ volontierte, erzählt gern von dessen Verlegerin. Die schnürte Tag und Nacht durch Redaktion, Mettage und Druckerei, den Blick gesenkt. Wo immer sie eine Büroklammer oder eine Reisszwecke auf dem Fußboden entdeckte, hob sie diese auf und trug sie zum nächstbesten Angestellten: „Des isch au Geld!“ Dies war die schwäbische Nachkriegsvariante der Sparsamkeit.

Im Zeitalter der abschwellenden New Economy wird kreativer vorgegangen: Synergie, Crossover, Recyclen (Stilpapst Wolf Schneider spricht es: „rezützeln“). Die „FAZ“, zum Beispiel. Dort erschien vergangenen Sommer in der Rubrik „Natur und Wissenschaft“ ein Artikel mit der Überschrift: „Die Erde nimmt an Umfang zu“. Viele Monate später hieß die Überschrift, identische Rubrik, „Unsere Erde wird immer dicker".

Der Autor war derselbe. Es ging beide Male um den Äquator, der auf geradezu menschliche Weise zur Problemzone werde, spielerisch werden die Begriffe Taille, Brust und Wulst eingeführt, besonders gelungene Textpassagen sind Wort für Wort übernommen, bisweilen sind Nuancen filigran nachbearbeitet. So heißt der letzte Satz im ersten Fall: „Aus geringen Abweichungen der Entfernung zwischen den beiden Satelliten lassen sich örtliche und zeitliche Änderungen des Schwerfeldes viel genauer als bisher berechnen.“ Monate später ist im letzten Satz aus dem Verb „berechnen“ ein „ermitteln“ geworden, was die Sache tatsächlich viel besser trifft.

„Zeit“Redakteure wiederum fahren schon länger zweigleisig, das heißt einerseits Auto für einen Testbericht im „Leben“, andererseits gehen sie der üblichen Arbeit nach. So lässt sich der Fuhrpark des Verlags verkleinern und die Mitarbeiter haben das Vergnügen, zum Interview mit Angela Merkel auch mal im Ferrari zu brettern. Im „Zeit“-Reiseprogramm 2003 wird von weiteren Aktivitäten berichtet. Der Essayist Klaus Hartung begleitet eine Gruppe auf der River Cloud II von Venedig nach Verona, Editor-at-large Theo Sommer führt Reisende durch die Eiswunderwelt der Antarktis, Feuilletonchef Jens Jessen weicht Travellern durch Vietnam und Kambodcha nicht eine Sekunde von der Seite. Der Fantasie sind auch in diesem Fall keinerlei journalistische Grenzen gesetzt.

Ja, so ist das. Wenn Sie demnächst auf einer Party jemanden nach seiner Tätigkeit fragen und die Antwort lautet: „Morgens lese ich Büroklammern auf, dann rezützle ich alte Texte, mittags fahre ich mit dem Auto rum und später führe ich Fremde zu den interessanten Kirchen und Schlössern unserer schönen Stadt“ – dann ist alles klar. Dieser Mensch muss Journalist sein.

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