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Medienschelte: „Ich weiß nichts, und Sie wissen nichts!“

Die Anschläge von Oslo, Terror-Experten und die vermeintlich voreiligen Schlüsse von ARD und ZDF. Die Sender weisen die Kritik zurück.

Hand aufs Herz – als am Freitagnachmittag die ersten Nachrichten von den Anschlägen in Oslo über die Ticker, Radiowellen und Bildschirme liefen, gingen die allermeisten Menschen von einem islamistischen Hintergrund aus. So auch die „Terrorexperten“ von ARD und ZDF. Rainald Becker und Elmar Theveßen waren sicher nicht die einzigen Journalisten, die mit ihrer ersten Einschätzung falsch lagen. Die mit dem Internet noch mehr beschleunigte Nachrichtenmaschine erzeugt einen gewissen Druck. Trotzdem stellt sich die Frage, ob aus den teils voreiligen Vermutungen und Schlüssen zur Täterschaft in Oslo Lehren zu ziehen sind, auch und gerade bei den Nachrichtenredaktionen der öffentlich-rechtlichen Sender.

Zunächst, über das so genannte „Expertentum“ im deutschen Fernsehen wird all zu gerne geschimpft. In diversen Internet-Foren müssen sich Becker, Theveßen & Co. Spott gefallen lassen. „Man möchte diesen so genannten ,Terrorismus-Experten’, wenn sie denn bereits kurze Zeit nach einem solchen Blutbad mit ernst-betretener und wichtigtuerischer Miene auf allen TV-Kanälen ihre Theorien und Einschätzungen absondern, mal einen Ausspruch von Herbert Wehner entgegenhalten: ,Ich weiß nichts! Und Sie wissen nichts!’“, meint ein User auf tagesspiegel.de. Starker Tobak. Andere wiederum rücken die Berichte und Kommentare zum Terror-Anschlag von Oslo in die Nähe von Satire, nahezu alle Medien hätten am Freitag vorschnell eine Verbindung zu Al Qaida herbeispekuliert.

„Die norwegischen Behörden sagten uns am Freitagnachmittag, dass ihre Arbeitshypothese Islamismus sei. Das deckte sich mit den Erkenntnissen und Recherchen des ZDF aus den vergangenen Jahren“, sagt Elmar Theveßen, Leiter der ZDF-Hauptredaktion „Aktuelles“, dem Tagesspiegel. Dass der Anschlag auf ein sozialdemokratisches Jugend-Camp verübt wurde, auf dem viele Jugendliche mit Migrationshintergrund waren, sei kein Ausschlusskriterium für einen islamistischen Anschlag. „Islamisten sagen: Wer sich mit dem Westen verbündet, ist ein Abtrünniger und muss ebenfalls bekämpft werden. Als wir von einem blonden, blauäugigen Täter hörten, wurden wir jedoch stutzig.“

Theveßen betont, dass das ZDF an dem Abend nichts Falsches berichtet, sondern eine falsche Einschätzung gebracht habe. „Wenn man sagt, dass man eine Einschätzung habe, zugleich aber erklärt, es könne auch ein anderes Motiv geben, geht dies im Fernsehen offenbar unter.“ Das ZDF stelle sich der Medienkritik. Die Fragen nach dem „Wer?“ und „Warum?“ sollten länger verkniffen werden. „Wir müssen in Zukunft bei unseren Einschätzungen vorsichtiger sein“, sagt Theveßen. „Ich ärgere mich sehr über unsere Fehleinschätzung, auch wenn sie auf vielen Informationen basierte.“ Hundertprozentigen Schutz vor Fehleinschätzungen könne es jedoch nicht geben. Theveßen wundert sich aber darüber, dass das Expertentum nun allgemein infrage gestellt wird.

Ähnlich sieht das Thomas Hinrichs, zweiter Chefredakteur ARD aktuell. „Bei uns gilt weiterhin: Zuverlässigkeit vor Schnelligkeit.“ Hinrichs betont, dass ARD-Terrorexperte Rainald Becker nach den Anschlägen schon im ersten Take in der „Tagesschau“ von einer Vermutung gesprochen habe, was einen etwaigen islamistischen Hintergrund betrifft. Eine Bestätigung der Behörden gab es nicht. Man müsse, so die Lehren für ARD aktuell aus der momentanen Medienkritik, die Zweifel sehr deutlich formulieren, am Anfang, in der Mitte und am Ende, jedenfalls „vielleicht noch deutlicher, als wir es am Freitagabend gemacht haben“.

Markus Ehrenberg/Andreas Maisch

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