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Medien: Menschliche Klemme

Geliebter Sonntagabend-Krimi: Warum mancher „Polizeiruf 110“ den „Tatort“ vergessen lässt

Es ist schön, zu sehen, wie wenigstens im Fernsehen die Ost-West-Integration Fortschritte macht. Inzwischen hat der „Polizeiruf“ den Westen erreicht, Kommissar Keller (Jan-Gregor Kremp) ermittelt in Bad Homburg, obwohl er noch nicht genau weiß, wo er dort wohnen soll. Und wenn der „Tatort“ als Reihe Weltniveau hat, wofür manches spricht, dann schließt der „Polizeiruf“ locker auf, und zwar nicht nur dann, wenn die Morde und die Spurensuche im Osten stattfinden. Im Hessen-Polizeiruf von heute Abend gibt es sogar eine augenzwinkernde Verschränkung beider Krimi-Reihen: „Tatort“-Kommissar Dellwo (Jörg Schüttauf) aus Frankfurt leistet dem Kollegen Keller Amtshilfe. Man kennt sich – „Du hier?“ –, klopft sich auf die Schultern und tauscht brisante Infos.

Regisseur und Autor Titus Selge hat bei „Die Mutter von Monte Carlo“ nicht die brausende Metropole, sondern die enge Provinz im Visier gehabt. Das Personal ist bescheiden: ein Chorleiter, eine Kellnerin, ein Bestattungsunternehmer, ein Ex-Bulle, eine Puffmutter, Kommissar Keller. Einige waren früher mal was anderes, den meisten geht es nicht besonders gut. Mit Mitteln der Rückblende, der Vision, mit ausgeklügeltem Wechsel zwischen rascher Schnittfolge und gemächlichem Szenenaufbau entwickelt Selge die Geschichte um das Verschwinden einer alten Frau, die im Casino von Bad Homburg den Jackpot geknackt hat. Er verleiht den Sequenzen, die außerhalb objektiver Wahrnehmung in der Fantasie der Helden spielen, helle Farbigkeit und klaren Glanz, anstatt sie durch Wischeffekte von der „realen“ Welt abzuheben. Der Zuschauer erkennt, dass es der „innere Film“ ist, dass es Erinnerung und Vorstellung sind, die die Menschen bei ihrem Handeln leiten, weniger das, was vor ihren Augen geschieht.

Mit der dramatischen Raffinesse hat zumindest dieser „Polizeiruf“ zugleich einige Trends adaptiert, die heute gängig sind und die dem Krimi als solchem nicht gut tun. Die Welt der Verbrecher und die der Verfolger sind nicht mehr scharf getrennt. Das ist immer dann kein Problem, wenn gezeigt werden soll, dass Polizisten auch nur Menschen sind und manchmal neben der Legalität operieren. Der zeitgenössische Krimi geht weiter. Er muss unbedingt, wenn nicht eine verwandtschaftliche, so doch eine freundschaftliche oder gar amouröse Verbindung zwischen Gesetzesbrecher und Gesetzeshüter konstruieren, so als käme nur genug Spannung auf, wenn der Kommissar nicht bloß physisch, sondern auch psychisch und menschlich in die Klemme gerät. Diesmal ist es eine alte Schulfreundschaft, die Keller und den Hauptverdächtigen (Gustav Peter Wöhler) zusammenschweißt. Die Spuren führen weit zurück in die Vergangenheit, in der nicht nur Kellers Freund, sondern auch seine Geliebte Sophie (herausragend: Inga Busch) schwere Schicksalsschläge erlitten, deren Konsequenzen sich erst jetzt, fast zwei Jahrzehnte später, in Wut, Mord und gezückten Pistolen entladen.

Ein Zuviel an Verwicklung, ein Zuviel an Vergangenheit droht diesem Film jenes Element abzurücken, das ein Krimi zum Atmen braucht: Plausibilität. Dennoch: Gut gemacht ist der Film. Die Szenen, in denen Keller seinem verstorbenen Vater begegnet, sind anrührend, komisch und erzählerisch bedeutsam. Geister sind im TV ja nichts Neues. Aber sie werden hier auf neue Art inszeniert und so unheimlich lebendig.

„Polizeiruf 110“, ARD, 20 Uhr 15

B. Sichtermann

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