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Nur echt im weißen Bademantel. Wenn seine weiblichen Fans nach Zugaben schreien, weiß Udo Jürgens, was er zu tragen hat. Foto: Volker Dornberger/dpa

© dpa

Merci, Chérie!: So gut wie seine Lieder

Entertainment als Hochleistungssport: Arte-Porträt des Mannes, der Udo Jürgens ist. Der Musiker wird am 30. September 80 Jahre alt.

Als Udo Jürgens zum ersten Mal Joachim Fuchsberger besuchte, hatte er eine Aktentasche dabei. Darin steckten seine Pantoffeln. Der berühmte Sänger hatte Angst davor, die Villa des berühmten Schauspielers in Straßenschuhen zu betreten. „Er machte einen bescheidenen Eindruck“, erinnert sich der Hausherr. Jürgens spielte Fuchsberger auf dem Klavier ein Lied vor und sagte anschließend: „Das ist eine tolle Nummer, aber mir fehlen die Worte dazu.“ Doch Fuchsberger entgegnete: „Das ist doch schon der Titel.“ So entstand „Was ich dir sagen will“, eine pompös aufschäumende Klavierballade, die von der Überlegenheit der Töne gegenüber den Worten handelt: „Wenn du mich nicht verstehst, versprech' ich dir / Was ich dir sagen will, sagt mein Klavier.“ Den Text hat der vor einer Woche verstorbene Showmaster geschrieben.

Die Episode mit Jürgens und Fuchsberger ist ein Höhepunkt des Dokumentarporträts „Der Mann, der Udo Jürgens ist“, mit dem die Filmemacher Hanns-Bruno Kammertöns und Michael Welch dem Musiker zum anstehenden 80. Geburtstag huldigen. „Was ich dir sagen will“, die vor fast einem halben Jahrhundert entstandene „tolle Nummer“, gehört bis heute zum Liverepertoire des Schlagerstars. Konzerte sind noch immer eine Art Lebenselixier für Jürgens, das Ziel ist die totale Verausgabung. Den berühmten weißen Bademantel, mit dem er rituell seine Zugaben zelebriert, hat er ursprünglich deshalb übergestreift, weil er am Ende eines Auftritts so durchgeschwitzt war, dass er eine Dusche brauchte.

„Ich habe den Leuten immer vermittelt, dass ich auf der Bühne für sie singe und kämpfe“, sagt er. Entertainment als Hochleistungssport, „halbe Kraft kennt er nicht“, heißt es im Off-Kommentar. Erhellend sind Aufnahmen von einem Galakonzert irgendwo in Norddeutschland. Anfangs singt Jürgens gegen die Gelangweiltheit der Gäste an, die an Tischen ihre Häppchen vom Büfett verzehren. Dann droht er: „Ich kann auch aufhören, wenn Sie wollen.“ Am Ende kriegt er die Leute mit „Ich war noch niemals in New York“, einem seiner größten Hits. Alle stürzen zur Bühne, tanzen, klatschen und singen mit. Udo-Mania.

Mit der Musik von Udo Jürgens sind inzwischen mehrere Generationen von Deutschen groß geworden, sie gehört gewissermaßen zur DNA dieses Landes. „Er hat den Soundtrack zur Bundesrepublik Deutschland geschrieben in den letzten fünfzig Jahren“, bilanziert Hape Kerkeling noch vor dem Vorspann. Doch der Weg an die Spitze war lang und steinig. Als Jürgen Bockelmann in Kärnten geboren, wächst Jürgens in Schloss Ottmanach auf, das seinen großbürgerlichen Eltern gehörte. Er ist ein kränkliches, unsportliches Kind, die Musik eröffnet ihm eine Fluchtmöglichkeit. In Klagenfurt studiert er Klavier auf dem Konservatorium, mit 17 gewinnt er einen Kompositionswettbewerb in Wien. Jürgens bricht kurz vor dem Abitur die Schule ab, um sich ganz der Musik zu widmen. Ein Höhenflug.

Was folgt, ist der Absturz. 1953 gründet der Sänger seine erste Band und beginnt seine Ochsentour durchs Unterhaltungsgewerbe. Eine Zeit lang ist er mit dem Bigband-Leader Max Greger unterwegs, der mit einem ganzen Talentpool durch die Provinz tingelt. Eines Abends fragt er Greger frustriert: „Warum muss ich immer als Erster singen?“ Greger antwortet: „Na Udo, weil Du keinen Hit hast!“ Dazu zeigt der Film körnige Schwarzweißbilder eines ziemlich spargeltarzanigen, lustlos fingerschnipsenden Jürgens, der schmachtet: „Swing am Morgen, Swing am Morgen.“ Jahrelang muss er als „Interpret“ Lieder aufnehmen, die er nicht geschrieben hat und die nicht zu ihm passen, und weil sie sich nicht verkaufen, verliert er schließlich seinen Plattenvertrag.

Gerettet wird Udo Jürgens durch eine, wie er sagt, „schicksalhafte Begegnung“ mit dem Musikverleger Hans R. Beierlein, der 1963 sein Management übernimmt. Zu den Lektionen, die er von ihm lernt, gehört die Einsicht: „Ein Sänger für sich ist nichts. Er ist immer nur so gut wie seine Lieder.“ 1964 und 1965 tritt Jürgens beim Grand Prix Eurovision de la Chanson an und erreicht nur die enttäuschenden Plätze sechs und vier. Nach dem vierten Rang von Neapel fühlt er sich am „Tiefpunkt meiner Karriere“ angekommen und erleidet einen körperlichen Zusammenbruch. 1966 will der Sänger auf keinen Fall noch einmal am Wettbewerb teilnehmen. Beierlein sagt: „Ich habe ihn gezwungen.“ Diesmal gewinnt Jürgens in Luxemburg mit „Merci, Chérie“ für Österreich. Noch in der Nacht bekommt er Angebote von nahezu allen europäischen Fernsehanstalten, sogar von einem Sender aus Japan.

Der Titel „Der Mann, der Udo Jürgens ist“ suggeriert, dass der Privatmensch Jürgen Bockelmann längst mit dem Schlagerstar Udo Jürgens verschmolzen ist. Seiner Mission hat sich dieser Mann bereits als Halbwüchsiger verschrieben: mit der Musik auf- oder unterzugehen. „Aber wenn ich untergehe“, so lautete damals sein Vorsatz, „werde ich wenigstens in irgendeiner Bar am Klavier sitzen, das ist immer noch besser als in einem Büro zu hocken“. Für ein Privatleben blieb bei derlei Ambitionen nur wenig Raum. Zwei Ehen scheiterten, nach 25 und nach sieben Jahren. Auch deshalb, weil der Sänger bei seinen Tourneen immer ein Gegenstand weiblicher Begierden war. „Die große Charme-Explosion, das kann mein Vater sehr“, konstatiert Tochter Jenny Jürgens. „Treue“, weiß der Vater, „ist keine Frage des Charakters, sondern der Gelegenheit.“ Die Details verschweigt die Doku.

Und wie soll es nun weitergehen, nach dem 80. Geburtstag am 30. September? Mit der Musik aufhören kann er sowieso nicht, mit den Auftritten will er aufhören, „wenn es peinlich wird“. Peinlich, glaubt er, ist er auf der Bühne noch lange nicht. Ende Oktober beginnt die nächste Tournee, es ist seine 25. The Show must go on.

„Der Mann, der Udo Jürgens ist“, Arte, Sonntag, ,21 Uhr 40 Uhr; ARD, 29. 9., 20 Uhr 15

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