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© ZDF

Montagskrimi: Unheimliches München

Im ZDF-Film „Hinter blinden Fenstern“ ermittelt Hanns Zischler als Kommissar Polonius Fischer

Unter den zahlreichen Kriminalkommissaren im Fernsehen ist Polonius Fischer aus mindestens zwei Gründen eine bemerkenswerte, einzigartige Figur: Er ist ein gläubiger Katholik, ein Polizist, der mit Anfang 20 beschloss, ins Kloster zu gehen, und Jahre später in den Polizeidienst zurückkehrte. An der Wand seines Büros hängt ein Kruzifix. Und der zweite Grund: Fischer wird von Hanns Zischler gespielt, der schon für Wim Wenders, Jean-Luc Godard und Steven Spielberg („München“) vor der Kamera stand. Neben der Schauspielerei in mehr als 200 Filmen war und ist der 62-Jährige als Autor, Übersetzer, Fotograf tätig – ein Intellektueller und Literat, der über Franz Kafka und James Joyce forscht und dennoch das profane Fernsehen nicht scheut.

Für Zischler, dessen sanftes, klassisches Gesicht bestens zu diesem Kommissar mit dem altmodischen Vornamen passt, ist Polonius Fischer einfach „ein Mensch, der gelernt hat, zuzuhören“. Er müsse einen Fall aufklären, „aber es gibt einen Rest, der nicht aufgeklärt werden kann. Und das beschäftigt ihn“, sagt Zischler. Fischer ist an den Motiven der Menschen interessiert, nicht nur an einer lückenlosen Beweiskette. Sein Schöpfer, der Münchner Schriftsteller Friedrich Ani, hält Hanns Zischler für die perfekte Wahl: „Man glaubt dem Zischler, dass der Polonius Fischer auch mal was anderes gemacht hat.“

Die Religiosität des Kommissars bleibt in „Hinter blinden Fenstern“ zumeist unaufdringlich im Hintergrund. Fischer ist kein Prediger, kein Moralapostel. Mit Bordellbesitzerin Clarissa Weberknecht (Maja Maranow), deren Freundin und Geschäftspartnerin Dinah (Bernadette Heerwagen) erstochen wurde, verbindet ihn Sympathie, womöglich mehr. Jesus habe vielleicht gelebt, aber er sei niemals auferstanden, sagt Clarissa Weberknecht mit Blick auf das Kruzifix im Verhörraum. „Das ist alles Lüge, damit wir den Tod überhaupt aushalten. Das ist der Trick.“ „Sie wissen mehr vom Glauben, als Sie ahnen“, antwortet der ehemalige Mönch.

In diesem Fernsehfilm von Matti Geschonneck (Regie) und Hannah Hollinger (Buch) ist so ziemlich alles anders als in einem gewöhnlichen Krimi. Der Zuschauer kennt Dinahs Mörder, außerdem wurde er zuvor Zeuge eines weiteren Verbrechens: Eine junge Frau wird von einem Autofahrer angesprochen und schließlich in seine Gewalt gebracht. Dieser Handlungsstrang baumelt lange Zeit lose herum, als würde sich niemand dafür interessieren, bis er auf überraschende Weise wieder aufgegriffen wird. Ein weiterer Todesfall ohne erkennbaren Zusammenhang kommt im Lauf des Films hinzu, später noch ein dritter, das ist eine beeindruckende Verbrechensquote für diesen schmucken, freundlichen Ort: Die Borstei, eine in den zwanziger Jahren gebaute, denkmalgeschützte Wohnsiedlung in München, wurde von Regisseur Geschonneck zufällig im Vorbeifahren entdeckt und als Drehort auserkoren. Sie sei fast das Gegenteil von der Siedlung, die er im Roman beschrieben habe, aber das mache nichts, sagt Ani fröhlich. Die Verfilmung werde der Gesamtatmosphäre des Buchs gerecht.

Die Borstei, dieses „abgeschlossene, gefängnishafte, aber auch heimelige Wohnviertel“ habe etwas Klaustrophobisches, erklärt Geschonneck. Die Enge versteckt sich hinter einer schönen Fassade, einem warmen Gelb, einem blühenden Innenhof. In die Wohnungen haben sich jedoch seltsame Zeitgenossen zurückgezogen: Nachbarn, die sich gegenseitig überwachen, einsame Männer, die ihre alte Liebe nicht in Ruhe lassen, penibel gekleidete Sonderlinge, gleichgültig gewordene Ehefrauen. Zischler sieht in der Film-Borstei eine „soziale Utopie, die sich in ihr Gegenteil verkehrt. München, einmal anders gesehen. Thomas Gehringer

„Hinter blinden Fenstern“, 20 Uhr 15, ZDF

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