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Medien: Müllers Heimweg

Der Verleger des „Schwäbischen Tagblatts“ fühlte sich stets als Berliner. Nun verkauft er seine Zeitung – und kehrt zurück

Der Schreibtisch im ersten Stock in der Tübinger Uhlandstraße ist mit einer Plastikplane abgedeckt. Alle Bilder sind abgehängt. Die Maler kommen in den nächsten Tagen, um alle Risse zu spachteln und die Wände zu weißeln. „Herr Müller ist nicht mehr hier“, sagt die Sekretärin am Telefon „aber versuchen Sie es doch einmal bei ihm zuhause“. Herr Müller, der Chef, oder „Krischtoff“, wie ihn alle seine Mitarbeiter duzten, hat nach 35 Jahren seinen Platz als Verleger und Chefredakteur des „Schwäbischen Tagblatts“ geräumt. Mit 66 Jahren gehen auch andere in den Ruhestand. Doch Christoph Müller tat es mit einem Paukenschlag. Er habe von der „kleinen, großen Stadt“ am Neckar genug, verkündete er vor wenigen Wochen dem überraschten Zeitungspublikum. Darum habe er seinen 50prozentigen Anteil am Verlag verkauft und ziehe demnächst nach Berlin um.

Tübingens vielleicht berühmtestes Ehepaar, Inge und Walter Jens, hatten das hohe Lied der geistdurchfluteten Provinz immer am schönsten gesungen. Ihr Bekenntnis zu einer kleinen Universitätsstadt zwischen Schwarzwald und Schwäbischer Alb, in der auch die Käseverkäuferinnen am Marktstand zumindest wissen, dass Hegel und Kant keine Modefirmen sind, hat auch mit der hier sich unter Müller entwickelten Zeitungskultur zu tun. Kaum eine andere Regionalzeitung in der Republik hat in den vergangenen drei Jahrzehnten den Lokaljournalismus so munter, eigenwillig und engagiert betrieben wie jenes „Schwäbische Tagblatt“ – mit ihrem Chef an der Spitze. 17 Journalistenpreise aus Müllers Ära zeugen davon.

Dabei verspürte der schwäbische Verlegersohn keinen sonderlichen Drang zurück an seinen Geburtsort, als ihn sein Vater 1969 von der Spree an den Neckar pfiff. 31 Jahre war Müller damals alt und Berlin, wo er sich als Redakteur in der Lokalredaktion des „Tagesspiegel“ wohl fühlte, schien ihm geistig und politisch offener und beweglicher als eine muffig-biedere Kleinstadt. Als bekennender Schwuler wusste er sich zudem in der Großstadt besser verstanden. Aber Erbe verpflichtet, Adé Berlin, Grüß Gott Provinz. „Hierzu von uns der Wunsch: viel Glück! Vielleicht denkt manchmal er zurück“, dichteten seine „Tagesspiegel“-Kollegen um Lokalchef Günter Matthes etwas holprig ihm zum Abschied und ahnten wohl nicht, wie häufig er in den folgenden Jahren zurück dachte.

Müllers Lebenspartner, der Regisseur und Bühnenbildner Axel Manthey, zog zum Entsetzen mancher Honoratioren gleich mit nach Tübingen. Noch schwerer zu ertragen für das bürgerlich-akademische Milieu aber war der Gesinnungswandel des Monopolblattes in jener studentenbewegten Zeit, als dessen junger Verleger auf einmal die Schlachtgesänge der Straße lustig auf dem Chefsessel sitzend mitpfiff. Bis heute hat sich die „Neckar-Prawda“ als Schmähbezeichnung in manchen Köpfen gehalten. Und darum weinen nicht alle dem Scheidenden heute eine Träne nach.

Die frühere Justizministerin und SPD-Abgeordnete Herta Däubler-Gmelin schon dreimal nicht. Ihren Rücktritt, ausgelöst durch einen Bericht der Lokalzeitung über ihren Bush-Hitler-Vergleich, lastet sie dem Verleger an, auch wenn der heute sagt: „Inhaltlich hat sie ja recht gehabt.“ Strippen ziehen, Einfluss nehmen, provozieren. Müllers Tagblatt beschränkte sich nie auf die Chronistenpflicht. Der CDU-Hardliner und Franz-Josef Strauß-Freund Jürgen Todenhöfer hätte sich keinen ungemütlicheren Wahlkreis als Tübingen aussuchen können und so verließ er in den 80er Jahren entnervt das Terrain in Richtung Bayern. Heute kann Todenhöfer als Burda-Verlagsmanager altersmilde über jene Jahre lächeln. Zumindest langweilig sei es ihm damals nie gewesen. Auf ganzen vier Zeitungsseiten winken Freund und Feind nun dem schillernden Zeitungsfürsten zum Abschied nach, und so erfahren die Leser, dass sich der Weltethiker Hans Küng über den „Hämismus“ der Lokalzeitung öfters geärgert habe, oder der Kulturwissenschaftler Hermann Bausinger ihn als „Außenseiter“ sieht, „der mit der Innenseite vertraut ist“.

Linksliberal denken und luxuriös leben, so ließ sich das Dasein im schwäbischen Hinterland ja auch aushalten. Von seiner Villa „ob der Grafenhalde“ aus betrachtet sah die Stadt unten tatsächlich aus wie eine Spielzeuglandschaft. Müllers echte Welt lag woanders. Als Theaterfanatiker sah man ihn häufiger in den Theatersälen der ganzen Republik als an einem Stammtisch seiner Stadt, und sollte er je dort gesichtet worden sein, es diente nur dazu, einen neuen Intendanten für das Landestheater Tübingen auszumauscheln.

Außer seinem aus Berlin importierten Lebenspartner kam ihm in 35 Jahren niemand wirklich nahe. Als Manthey vor neun Jahren an Aids starb, igelte sich Müller ein. Seine Villa baute er zu einem privaten Museum niederländischer Meister um, auf jedem Quadratzentimeter hingen die Schinken untergehender Schiffe oder mythologischer Weltdeutungen.

Der Redaktion unten im Tal entzog er erst die Aufmerksamkeit, dann das Geld. Am Ende haben rund 30 Mitarbeiter gehen müssen, als die goldenen Zeiten des Monopolblattes verblassten. Dass Müller den Mitarbeitern („Originalton Müller: „Ihr g’ höret alle mir“) in einer Laune mal sein Erbe versprochen hatte, habe daran gelegen, das er den Vertrag mit seinen Mitverlegern, der Familie Frate, nicht gelesen habe, sagt er heute. Die besaßen das Vorkaufsrecht und machte davon Gebrauch. Mehr als 15 Millionen Euro hat Müller für den Verkauf seiner Anteile erhalten, so vermutet man. Das Geld investiert er in Berlin. In Mitte lässt er sich am Koppenplatz eine Wohnung herrichten. Auch die Berliner sollen etwas von dem Neubürger haben: Seine niederländische Druckgrafik und Zeichnungen will er dem Kupferstichkabinett vermachen.

Doch bevor er die Koffer packt, wollte sich „Krischtoff“ noch „von Freund und Feind“ verabschieden und lud am Freitagabend alle ein, die ihn in 35 Jahren journalistisch begleitet hatten. Manche kamen von weit angereist, aus den Redaktionen von „Stern“, „Spiegel“, „Financial Times“ oder der „taz“. Lange Zeit war das Tagblatt Durchlauferhitzer journalistischer Begabungen. Liebevoller wurde selten jemand aus Tübingen hinausbegleitet. Manche wischten sich die Augen, als das evangelische Gesangbuch bemüht wurde: „Gen Himmel aufgefahren hoch/ ist er doch allzeit bei uns noch“.

In Berlin hat sich die Heimkehr des verlorenen Sohnes bis zum Regierenden Bürgermeister herumgesprochen. Der schickte Müller vor wenigen Tagen ein Fax, in dem er den „sehr geehrten lieben Herr Müller“ als „künftigen Bürger unserer Stadt“ herzlichst begrüßt. Dann kommt Klaus Wowereit zur Sache: Er habe gehört, dass Müller „entsprechend der schwäbischen Tugend etwas sparsam“ sei. „Dieses sollten Sie in Berlin bald ablegen – denn unserer Stadt braucht Investoren, auch und gerade wohlsituierte Senioren.“

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