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Tatort aus München: mit Udo Wachtveitl (l) und Miroslav Nemec.

© dpa

Münchner "Tatort" auf dem Oktoberfest: Kruzifix!

Das Oktoberfest als wüste Hölle: Der Münchner „Tatort“ besucht die Wiesn. Mehr Sozialpanorama als richtig gelungener Krimi.

So etwas gibt es öfter in Serienkrimis: dass ein sympathischer Kommissar in die Ferien fährt, endlich, er hat es verdient, und dann stolpert er auf dem Bahnsteig in seinen nächsten Fall hinein. Im neuen Bayern-„Tatort“ ist es Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl), den es auf diese Weise erwischt. Er will in der Toskana Urlaub machen, er muss weg aus München wegen des Oktoberfestes, vor dem er jedes Jahr flieht. Seine Wohnung hat er zwei schwedischen Mädels vermietet, die froh sind, eine Unterkunft zu haben. Alles ist ausgebucht in der Wiesn-Zeit. Kaum sitzt der Franz im gesegneten Süden, klingelt auch schon sein Handy, und Kollege Ivo Batic (Miroslav Nemec) ruft ihn zurück. Der Franz sagt: nein. Der Ivo erklärt ihm, dass seine Fingerabdrücke auf dem Portemonnaie eines Toten gefunden worden seien. Franz erinnert sich: Er hat einem Volltrunkenen im U-Bahntunnel den verlorenen Geldbeutel zurück in die Tasche gestopft. Und der ist jetzt tot? Es hilft nichts, der Franz muss zurück.

Gerade das, was er immer meidet, das „größte Volksfest der Welt“ mit sechs Millionen Besuchern und einer Milliarde Euro Umsatz, holt ihn jetzt ein. Es geht rein in die Zelte, unter die Menge, die Wiesn sind jetzt ein Tatort. Jemand mischt mengenweise GHB, eine Ecstasy-Abart, in die Humpen. Zusammen mit Alkohol kann die Droge tödlich sein. Bei dem U-Bahn-Toten war das so. Man dachte, der sei sturzbesoffen, aber der Pathologe (Robert Joseph Bartl) sagt etwas anderes. Es folgen weitere Opfer – zwar mit dem Leben davongekommen, doch schwer vergiftet. Alles passiert im Amperbräu-Zelt. Wer geht da als Todesengel um und warum? Im Grunde müsste das Zelt geschlossen werden. Die Sache geht hoch bis zum Innenminister. Schließung? Bloß nicht. Der Reingewinn ginge verloren, und der Ruf des Festes ... Ein Dilemma. Der Revierchef (Jürgen Tonkel) brüllt verzweifelt: „Kruzifix!“

Sie entblößt die Haare auf ihren Zähnen

Auftritt Zelt-Chefin Kirsten Moosrieder (Gisela Schneeberger), Witwe des beliebten ehemaligen Amperbräu-Patriarchen. Sie entblößt die Haare auf ihren Zähnen, die Polizisten erkennen gleich eine ganze Riege von Verdächtigen. Frau Moosrieder plant einen Relaunch. Alle Leute über fünfzig sollen raus aus dem Service, und auch sonst wird im Amperbräu ein schärferer Wind wehen. Wer hätte da unter den Angestellten kein Motiv, der Moosrieder eins auszuwischen? Leitmayr und Batic verhören eifrig alle Moosrieder-Feinde. Leitmayr, der wegen der Schwedinnen obdachlos ist, lässt sich von der Saaltochter Ina (Mavie Hörbiger), die man sehr bewundern muss ob der vielen Biere, die sie auf einem Tablett zu stemmen vermag – also der Franz lässt sich von ihr mit nach Hause nehmen, in allen Ehren natürlich, er muss ja irgendwo schlafen. Aber er überschreitet eine rote Linie, auch auf Ina fällt der Schatten des Verdachts – sitzt sie doch direkt an der Quelle, da wo das Bier in den Seidel fließt.

Der Reiz des Films liegt in der Beleuchtung und Inszenierung des Oktoberfestes von unten (Regie: Marvin Kren): der Massenauftrieb als wüste Hölle, in der nicht nur die Promille, sondern auch der Zorn, der Hass und die Aggressivität alle Grenzen sprengen. Es gibt irre Aufnahmen des Gewimmels in psychedelischen Farben, die es verwunderlich erscheinen lassen, dass Menschen freiwillig in einen solchen Kessel strömen. Die beiden Kommissare nolens volens immer mittendrin, Leitmayr darf Ina aus einer Prügelei befreien und Batic seine bezechte Tante aus der Klinik. Am Ende hat die Profilerin Christine Lerch (Lisa Wagner) das Wort. Ihrer operativen Fallanalyse zufolge haben wir es mit einem „stellvertretenden Aggressionsdelikt“ zu tun, es ist wohl eher ein Einzelgänger, der hier seine Zerstörungslust befriedigt. Da sorgt ein zweites Todesopfer für einen Schock. Wieder war GHB die Ursache. Der Pathologe: „Die liebe Psychologie hat auf alles eine Antwort. Und wir räumen am Ende die Reste weg.“

Im tiefen Pool der Verdächtigen haben es nicht nur die Profis schwer. Auch die Zuschauer werden am Ende nicht mehr wissen, wer da alles als Täter infrage kommt. Was eine gute Voraussetzung für eine Überraschung ist (Drehbuch: Stefan Holtz und Florian Iversen). Am Ende beweisen die Kommissare, dass sie es noch draufhaben, dass sie die kleinen unscheinbaren Indizien zu deuten verstehen. Wie zum Beispiel kommt ein Gast, der behauptet, nur einmal im Zelt gewesen zu sein, in den Besitz eines roten, eines grünen und noch eines blauen Besucher-Armbändchens?

„Tatort“, Sonntag, ARD, 20 Uhr 15

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