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Seine vermisste Schwester Barbara (Silke Bodenbender), wie sie durch den Wald rennt, offenbar vor etwas Beängstigendem flüchtet, verfolgt LKA-Chef Thomas Bethge auch Jahre später noch Nacht für Nacht.

© NDR/Christiane Pausch

Nach einem wahren Fall: ARD-Dreiteiler rollt die „Göhrde-Morde“ neu auf

Der Fall hat Kriminalgeschichte geschrieben: Mit dem Dreiteiler „Das Geheimnis des Totenwaldes“ beleuchtet die ARD den Fall aus Sicht von Angehörigen der Opfer.

„Du musst etwas gegen diese Albträume tun“, ermahnt Thomas Bethges Ehefrau den pensionierten Vizepolizeichef von Hamburg, weil dieser auch Jahrzehnte nach dem Verschwinden seiner Schwester Barbara beinahe jede Nacht schweißgebadet aufwacht. „Ich hol mir was“, erwidert er, doch sie lässt nicht locker: „Das hilft nicht, du muss darüber reden.“ Doch Reden ist in diesem Fall keine Lösung. In jedem Albtraum sieht er seine Schwester durch einen Wald rennen, offensichtlich auf der Flucht vor etwas, das ihr panische Angst macht.

Der Ort hat einen Namen: nachdem dort im Jahr 1989 im Abstand von mehreren Wochen zwei Paare ermordet und verscharrt wurden, heißt er im Volksmund nur noch „Der Totenwald“ – und die Anwohner vermeiden es, ihn zu betreten. Unter dem Titel „Das Geheimnis des Totenwaldes“ hat die ARD diese unfassbare Mordserie, die auch mehr als 30 Jahre später nicht restlos aufgeklärt ist, in einem dreiteiligen Fernsehfilm aufgearbeitet.

[„Das Geheimnis des Totenwaldes“, ARD, in der Mediathek. Die TV-Ausstrahlung findet am 2., 5. und 9. Dezember um 20 Uhr 15 statt. Am 9. Dezember um 21 Uhr 45 folgt die TV-Dokumentation „Eiskalte Spur – Die wahre Geschichte des Totenwaldes“]
Im Fernsehen wird dieser ausgezeichnete Film erst am 2., 5. und 9. Dezember zur Prime Time ausgestrahlt. In der ARD-Mediathek steht er jedoch bereits seit Mittwoch zum Abruf bereit – als Miniserie mit sechs Episoden zu je 45 Minuten. Und obwohl rund viereinhalb Stunden eine lange Zeit sind, lohnt es sich, diese TV-Produktion möglichst rasch hintereinander anzuschauen. Überhaupt ist „Das Geheimnis des Totenwaldes“ eine außergewöhnliche Erzählung, die von Regisseur Sven Bohse (Ku’damm 56“) nach einem Drehbuch von Stefan Kolditz („Unsere Mütter, unsere Väter“) umgesetzt wurde.

Im Gegensatz zu den meisten Fernsehkrimis wird sie konsequent aus der Perspektive der Opfer – in diesem Fall der Angehörigen der vermissten Frau – erzählt. Ob nun deren Mutter, der Bruder, die Tochter oder der Ehemann – jeder von ihnen leidet an der Ungewissheit darüber, was mit Barbara Neder passiert ist, auf seine Weise. Aber immer mit erheblichen Folgen.

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Die Verbrechen sind als die „Göhrde-Morde“ in die Kriminalgeschichte eingegangen. Liest man den Beitrag „Warum starb Birgit Meier?“ aus dem ersten Heft des True-Crime-Magazins „Zeit Verbrechen“ von 2018, erkennt man, dass an dieser fiktionalen Adaption des Stoffes so ungefähr alles wahr ist, einmal abgesehen von den Namen der handelnden Personen. „Frei nach wahren Begebenheiten“, heißt es so auch im Begleittext zum ARD-Dreiteiler. In allem anderen stimmen die Schilderungen der Taten und das Ausmaß an Inkompetenz und Schlamperei der lokalen Polizei in fast allen Punkten überein.

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Das gilt insbesondere für den ehemaligen Hamburger Vizepolizeichef und LKA-Leiter, dem während seiner Dienstzeit die Hände gebunden waren, weil er in Niedersachsen keine Ermittlungskompetenz hatte. Nach seiner Pensionierung ließ er sich jedoch mehr nicht von der Suche nach seiner Schwester und der Aufklärung des Verbrechens hat abhalten. Wer den detailreichen Beitrag der „Zeit“-Publikation über die Morde in dem riesigen Waldgebiet in der Nähe von Lüneburg und Uelzen oder andere Berichte darüber noch nicht gelesen hat, sollte dies möglichst auch erst im Anschluss an den Fernseh-Dreiteiler machen. Die ARD begleitet den Film zudem mit einer dreiteiligen Dokumentation über die „Göhrde-Morde“.

Die exzellente Besetzung sorgt für Eindringlichkeit

Die Eindringlichkeit, mit der die Vorkommnisse, aber eben auch die Pein der Angehörigen erzählt wird, wäre indes ohne die ausgezeichnete Besetzung nicht möglich gewesen. Matthias Brandt spielt den Hamburger LKA-Chef und späteren Polizeivize Thomas Bethge als einen Mann, der mit seinem überkorrekten Auftreten und seiner absoluten Prinzipientreue selbst für das Jahr 1989 wie aus der Zeit gefallen erscheint. Auch wenn er nicht für die Schlamperei seiner niedersächsischen Kollegen verantwortlich ist, trägt auch er – trotz seiner für die Aufklärung so zentralen Beharrlichkeit – einen Teil der Verantwortung dafür, dass so viele Jahre vergingen, bis ein Schlussstrich unter die Vorgänge gezogen werden konnte.

Schlamperei, Inkompetenz oder Schutz eines Informanten? Obwohl ein Spürhund im Garten eines Verdächtigen anschlägt, bricht die Polizei die weitere Suche nach der Leiche der Vermissten ab.
Schlamperei, Inkompetenz oder Schutz eines Informanten? Obwohl ein Spürhund im Garten eines Verdächtigen anschlägt, bricht die Polizei die weitere Suche nach der Leiche der Vermissten ab.

© NDR/Christiane Pausch

Wie im realen Fall kann sich Bethge auf die Unterstützung einiger Kollegen verlassen. Die Wichtigste im Film ist die von Karoline Schuch dargestellte Anne Bach, eine junge, äußerst engagierte Kommissarin. Auch gegen die Widerstände von Kollegen und Vorgesetzten lässt sie sich nicht von ihren Überzeugungen abbringen. Auch nicht vom Macho-haften Verhalten vieler männlicher Kollegen in einer Polizeibehörde, in der Frauen zu der Zeit noch die Ausnahme waren.

Die Rolle von Barbara Neder hat Silke Bodenbender übernommen. So wie sie noch immer die Gedanken der Familienangehörigen wie auch Tochter Theresa (Janina Fautz) bestimmt, bleibt sie auch in der Verfilmung immer gegenwärtig. Die Polizei hat sich indes schnell auf Ehemann Robert Neder eingeschossen, einem erfolgreichen Unternehmer. Er wollte sich von seiner Frau scheiden lassen, weil er eine Affäre mit einer Mitarbeiterin angefangen hat. Nicholas Ofzcarek lässt ihn zwischen aufbrausend und verständnisvoll, arrogant bis niedergeschlagen changieren. Aber auch Jürgen Becker – einer der Hauptverdächtigen – wird von Hanno Koffler eindrucksvoll vielschichtig dargestellt.

Holzschnittartig: Die Polizei und Justiz von Niedersachsen

Fast schon holzschnittartig gezeichnet sind hingegen einige Akteure der niedersächsischen Polizei und Justiz. Da hätte man den Zuschauern ruhig etwas mehr bei der Bewertungen von deren Verfehlungen zutrauen dürfen. Und davon hat es offensichtlich genügend gegeben. Wie bei anderen Serienmorden auch zeigt sich häufig erst nach einiger Zeit, wie weitläufig die Täter agiert und wie viele Opfer sie gefordert haben. Und an welchen Stellen die Täter hätten gestoppt werden können. Die Frage, warum Polizei und Staatsanwaltschaft offenbar gegen besseres Wissen manchen Spuren nicht gewissenhafter nachgingen, beantwortet allerdings auch der Film nicht.

In der Realität heißt Thomas Bethge übrigens Wolfgang Sielaff. Nach seiner Pensionierung engagierte er sich beim Weißen Ring, einer Hilfsorganisation für Kriminalitätsopfer und ihre Angehörigen. Von 2004 bis 2014 war er sogar Vorsitzender des Hamburger Landesverbandes.

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