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Was ist wirklich passiert? Georg Dengler (Ronald Zehrfeld) und Olga Illiescu (Birgit Minichmayr) versuchen, den Tathergang zu rekonstruieren.

© ZDF/Julia Terjung

Nach RAF-"Tatort" nun NSU-Krimi: Bilder sind die neuen Fakten

Der ZDF-Krimi „Die schützende Hand“ schürt die Fantasie vom Mord an den NSU-Terroristen.

Die neue Folge der ZDF-Dengler-Krimireihe „Die schützende Hand“ legt nahe, dass sich die NSU-Terroristen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos nicht das Leben nahmen, sondern ermordet wurden. Das geschichtenversessene Fernsehen mischt sich mit erfundenen Figuren in ein laufendes Verfahren ein.

Ein Mediengespenst geht um in Fernsehdeutschland. Die Phantasie ist los im TV-Krimi und mischt das Genre auf.

ARD-Programmaufseher wie Fernsehdirektor Jörg Schönenborn und Fernsehfilmchef Gebhard Henke vom WDR fordern zu „Tatort“-Reinigung und weniger Experimenten auf. Theaterdonner könnte man das nennen. Solange die Quote stimmt, kann Kommissarin Charlotte Lindholm aus Niedersachsen Freizeitnonne werden oder ihr Kölner Kollege Freddie Schenk Würste aus Bohnenkäse an der Tofubude verspeisen.

Doch es gibt ernster zu nehmenden Widerstand, den von Politikern, wenn sich die neue Drehbuchlockerheit in die Sphäre der Macht einmischt. Dominik Graf zeigte in seinem RAF-„Tatort: Der rote Schatten“, nur durch Schmalfilmformat als Spekulation kenntlich gemacht, Szenen, wie Killerkommandos die in Stammheim einsitzenden Terroristen nach der „Landshut“-Befreiung ermorden. Er bebilderte ein Tabu. Für Terroristenkenner Stefan Aust war das ein Hereinfallen auf eine Propagandalüge der Rote-Armee-Fraktion, für Politiker von Ex-Innenminister Gerhard Baum bis zum Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier die Förderung einer unbewiesenen Behauptung und mögliche Untergrabung staatlicher Glaubwürdigkeit.

Gerüchte, die zu Bildern werden, fallen auf

Die (im Fall Graf unnötige) Aufregung ist die Folge einer medialen Veränderung. Gerüchte, die zu Bildern werden, fallen auf und tun weh. „Quod non legitur, quod non creditur“ sagten die Römer und meinten, was nicht in den Akten steht, wird nicht geglaubt. In unseren Zeiten sind Bilder, möglichst bewegte und auf eine Story hinauslaufende, die neuen Akten. Historische Analysen machen das Publikum nicht satt, gewissenhafte Doku-Rechercheure mit umständlichen Zeugenbefragungen auch nicht. Phantasiegespinste müssen beigemischt werden, sonst dringt das Fernsehen nicht zum Publikum durch, koste es auch Seriosität.

Die ZDF-Romanverfilmung „Dengler: Die schützende Hand“ überschreitet alte Grenzen der Zurückhaltung. Sie kennt, obwohl Fiktion, bereits die Wahrheit über den Tod der mutmaßlichen NSU-Mörder Böhnhardt und Mundlos.

Sicher ist einzig, dass die Leichen des Nazi-Duos im November 2011 in der Nähe von Eisenach in einem abgebrannten Wohnwagen mit Schusswunden und Brandverletzungen aufgefunden wurden. Alles andere ist nicht sicher. War es Selbstmord? Sind Mundlos und Böhnhardt schon vorher getötet worden? Sind die schlampigen Ermittlungen Zufall oder Ergebnis einer „Schützenden Hand“? War es „Staatsmord“, eine Aktion deutscher Schlapphüte. Alles riecht nach Eisenach-Gate.

Wie gut, dass es den 1951 in Idar-Oberstein geborenen Krimiautor Wolfgang Schorlau gibt. Er taucht immer auf, wenn der Schwefel eines möglichen Politskandals aufsteigt und betreibt seine „literarischen Ermittlungen“. Zu deutsch: das raffinierte Vermischen von Dichtung und Wahrheit. Die Kulissen in seinen Skandalkrimis stammen aus den Fakten der Zeitgeschichte – manchmal sind sie altbekannt, manchmal neu –, die erfundenen Helden aus dem Kopf des Romanautors. Die Phantasie schickt sie ins reale Skandalgelände. Der eine heißt Georg Dengler, Ex-BKA-Ermittler, der als privater Schnüffler arbeitet, die andere Helden Olga Illiescu, eine von der Polizei gesuchte Hackerin aus dem linken Milieu.

Unheiliger Georg

Lars Kraume (Buch und Regie) hat aus diesen erfundenen Personen forsche Filmfiguren gemacht. Ronald Zehrfeld als unheiliger Georg hat kein Erbarmen mit den Schlapphut-Schergen und trickst sie aus, wie es ihm gefällt. Birgit Minichmayr spielt mit einer Härte, die unvermittelt in Weichheit übergehen kann. Verhuscht und hartnäckig zugleich.

Wenn sich erfundene Personen in real geschehene Geschichte einmischen, dann sind sie nicht nur ästhetisch überlegen, sondern auch entrückt von der Frage, die Richter quälen: Was ist die Wahrheit? Sie beherrschen die Szene, man muss ihre Perspektive einnehmen, ins Offene des Zweifelns führt kein Weg. Die Fiktion denkt nicht ans große Ganze eines Problembereichs, sondern vor allem an sich selbst, vom Ende her, weil sie ihre Geschichte erzählen will, in der sich Anfang und Ende reimen sollen, koste es, was es wolle, selbst die Wahrheit.

Georg und Olga richten sich in einem leer geräumten Gewerberaum einen Platz für ungestörte Beobachtung ein. Bewaffnet nur mit zwei Laptops und einem scharfen Verstand wirken sie viel schlauer als alle offiziellen Ermittler. Sie bringen sich mit List und Tücke in den Besitz eines Polizeiberichts über den angeblichen Selbstmord des NSU-Duos. Sie lesen ihn genau durch, spielen das Beschriebene szenisch nach und entdecken jede Menge Ungereimtheiten: verwischte Spuren, unsachgemäße Ermittlungen, unlogisch erscheinende Reaktionen, lauter der Selbstmordthese widersprechende Einzelheiten, die nur ein stimmiges Bild ergeben, wenn man annimmt, dass die rechten Mörder vor der Explosion des Fahrzeugs getötet wurden. Wohl von einer plötzlich weggezogenen „schützenden Hand“ eines hochgestellten Zauberlehrlings, der die von ihm gerufenen Nazigeister loswerden will.

Mit journalistisch sauberer Beobachtung hat das wenig zu tun, diese fiktive Beobachtung realer Beobachtung. Wenn sich der verbissene Aufklärer Georg aus dem Böhnhardt-Mundlos-Komplex zurückzieht, dann hat er seinen privaten Ermittlungsauftrag erfüllt. Die Auftraggeberin war die Ehefrau eines gestressten Geheimdienstlers (Rainer Bock), die wissen wollte, was mit ihrem Mann los ist und die sich ohne Kenntnis von Einzelheiten eheförderlich beruhigen lässt. Georgs Recherchenergebnisse reichen aus, um mittels Erpressung Olga einen echten Pass mit falscher Identität zu verschaffen. Nur der treue Helfer Georgs, Marius (Tom Wlaschiha), muss dran glauben. Die „schützende Hand“ sprengt seine Autoreifen bei voller Fahrt.

Kein Respekt vor dem Gericht in München

Den Zuschauer ergreift dennoch ein positives Gefühl. Die Fiktion hat es halbwegs zu einem Happy End gebracht. Sie verlässt die Szene so unvermittelt, wie sie gekommen ist. Über Neofaschismus hat man gar nicht gesprochen, sondern über das Abenteuer des Ermittelns. Vor dem realen Urteil im Zschäpe-Prozess, einem der wichtigsten in der deutschen Nachkriegsgeschichte, steht erst mal dieser Auftritt vor dem TV-Unterhaltungsgericht, das das Publikum auf dem geflügeltem Dichterross Pegasus über das Faktenreich reiten lässt.

Nach Respekt vor dem Gericht im Münchner Prozess sieht das nicht aus. Aber die neue Phantasie ist immer in Eile und kommt sofort, wenn ein Sender sie lässt.

„Dengler: Die schützende Hand“, ZDF, Montag, 20.15 Uhr.

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