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Per „Blitz“ informierte die Nachrichtenagentur dpa, dass Bundespräsident Horst Köhler an der Seite seiner Frau Eva Luise seinen Rücktritt verkündet hat. Foto: dpa

© dpa

Nachrichtenportale: Magnetische Wirkung

Ballack, Koch, Köhler – wie Eilmeldungen in diesen Wochen das Geschäft vieler Redaktionen prägen

Wenn es ein paar Stunden in seiner Redaktion nicht gebimmelt hat, dann ist Stefan Wagner fast versucht nachzusehen, ob die Klingel kaputt ist. Sie geht beim Computer des Nachrichtenchefs von Focus Online immer dann an, wenn die Nachrichtenagenturen Eilmeldungen verschicken. Wagner soll sofort mitbekommen, dass etwas Wichtiges passiert ist – und zurzeit klingelt es fast ständig: Günther Jauchs Wechsel zur ARD, das WM-Aus für Michael Ballack und der Rücktritt des hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch wurden per Eilmeldungen von der Deutschen Presse-Agentur (dpa) verkündet, der Rücktritt von Bundespräsident Horst Köhler sogar als Blitzmeldung – eine solch’ hohe Priorität haben Nachrichten selten. Zuletzt hatte die dpa den Friedensnobelpreis für US-Präsident Obama als „Blitz“ verschickt, davor die Wahl von Kardinal Joseph Ratzinger zum Papst.

„Im Vergleich zu früher verschicken wir heute sehr viel mehr Eilmeldungen“, sagt dpa-Sprecher Justus Demmer. Etwa zwei bis zehn pro Tag. Die dpa habe die Schwelle, wann eine Nachricht zur Eilmeldung wird, erhöht. So soll neuen Verbreitungswegen wie dem Internet Rechnung getragen werden. „Inzwischen werden Nachrichten rund um die Uhr gesendet. Wir wollen unseren Kunden durch die höhere Zahl an Eilmeldungen zusätzliche Anhaltspunkte bieten, sodass sie den Nachrichtenstrom besser gewichten können“, sagt Demmer.

Allerdings: Je mehr Nachrichten als Blitzmeldung einlaufen, desto schwieriger könnte es für die Redakteure sein, wirklich wichtige Ereignisse herauszupicken. Täglich laufen in den Redaktionen mehrere tausend Nachrichten aus unterschiedlichen Bereichen wie Politik, Wirtschaft, Vermischtes, Kultur oder Wissenschaft ein. Sie alle sind mit einer Zahl versehen: „eins“ bedeutet Blitzmeldung und ist ein besonders überraschendes Ereignis von weitreichender Bedeutung, jedoch wurden die Terrorangriffe am 11. September 2001 zunächst als normale Unglücksmeldung im Vermischten versendet, da der erste Flugzeugabsturz noch als Unfall gewertet wurde. Eine Eilmeldung hat die Priorität „zwei“ und ist ebenfalls ein überraschendes Ereignis von weitreichender Bedeutung: Oft beinhaltet sie nur eine Überschrift und ein bis drei kurze Sätze zum Ereignis. Sobald es mehr Informationen gibt, wird sie herabgestuft zur Priorität „drei“, die Meldungen über aktuelle Ereignisse mit Reaktionen und Einschätzungen beinhaltet. Kategorie „vier“ sind aktuelle Meldungen über normale Ereignisse, Kategorie „fünf“ und „sechs“ Ereignisse, die unter die „Chronistenpflicht“ fallen.

Ursprünglich waren die Kategorien gedacht, damit wichtigere Nachrichten schneller über den Sender geschickt werden. Und auch wenn die Datenübertragung inzwischen so schnell ist, dass kein Stau mehr entstehen kann, dienen die Prioritäten weiter der Einordnung.

Zwar orientieren sich Nachrichtenportale wie Spiegel Online, Focus Online und Stern.de an den Kategorien der Agenturen, ordnen die Nachrichten aber noch einmal nach ihren eigenen Prioritäten. Nicht alles, was per Eilmeldung über den Ticker geht, wird in der gleichen Priorität auf den Seiten übernommen. So sendet eine Agentur beispielsweise stets Cricketergebnisse als Eilmeldung, was für die Länder, in denen der Sport gespielt wird, wichtig sein mag, in Deutschland aber keine Bedeutung hat. „Wir übernehmen nur einen Bruchteil von dem, was als Eilmeldung über den Ticker kommt“, sagt Rüdiger Ditz, Chefredakteur von Spiegel Online.

Passiert aber ein für Deutschland nachhaltiges Ereignis, wie jetzt der Rücktritt des Bundespräsidenten, leuchten auf allen Newsportalen an erster Stelle die gelben Einblocker mit der Nachricht „Eilmeldung“. „Das soll den Lesern signalisieren: Achtung, es ist etwas Wichtiges passiert, hier kommt gleich eine große Geschichte, bitte dran bleiben“, sagt Ditz.

Damit wirken die Eilmeldungen wie ein Magnet auf die Leser, die dann oft auf die Seite klicken, um zu verfolgen, wie sich das Ereignis weiterentwickelt. Im Wettbewerb der Nachrichtenwebsites sind Eilmeldungen deshalb kein unwichtiges Instrument. Sie suggerieren den Lesern, auf der jeweiligen Seite besonders nah dran am Geschehen und besonders gut informiert zu sein.

Jedoch sollte das Instrument sparsam eingesetzt werden, sagt Kai Gniffke, als Chefredakteur von ARD-Aktuell für Nachrichtensendungen wie die „Tagesschau“ verantwortlich: „Leider gibt es zurzeit eine regelrechte Breaking-News-Manie. Das senkt die Aufmerksamkeitsschwelle, und es wird schwerer zu entscheiden, wann eine Eilmeldung wirklich wichtig ist.“

Im Gegensatz zu den Websites blocken die Nachrichtensendungen wie „Tagesschau“ oder RTL-„Aktuell“ nicht plötzlich einen gelben Einblocker ins Programm, sondern lassen am unteren Bildschirmrand einen sogenannten Crawl laufen, ein Laufband, in dem über das Ereignis informiert wird, bis der Sender dazu aktuell berichtet. Gniffke kann ohne weitere Absprache entscheiden, den Crawl zu starten. Nachrichtensender wie n-tv oder N24 nutzen die Breaking News allerdings häufiger. „Bei einem Nachrichtenkanal sitzt der Colt, eine Eilmeldung rauszuschießen, natürlich lockerer als bei einem Vollprogramm“, sagt Gniffke. Er plädiert dafür, Eilmeldungen nicht inflationär zu verwenden.

Spiegel Online verwende Eilmeldungen heute weitaus zurückhaltender als noch etwa vor fünf Jahren, sagt Dietz: „Früher sind wir damit sorgloser umgegangen.“ Heute werde in der Redaktion intensiver geprüft, ob eine Eilmeldung der Agenturen auch als Eilmeldung an die Leser weitergegeben werden sollte. „Wir wollen nicht unbedingt die Ersten mit der Meldung sein, sondern die Ersten mit der stimmigen Geschichte dazu“, sagt Ditz. Auch Frank Thomsen, Chefredakteur von Stern.de sagt: „Mit Eilmeldungen kann man das Rennen nicht gewinnen, sondern es kommt auf die richtige Einordnung der Nachrichten an.“ Ob eine Eilmeldung der Agenturen auch tatsächlich als Eilmeldung bei Stern.de gezeigt werde, entscheide der Nachrichtenchef nach zwei Kriterien: nachrichtliche Relevanz und Leserinteresse. Als Orientierung diene das Prinzip des „Küchenzurufs“: „Hast Du schon gehört...“. Stefan Wagner von Focus Online prüft ebenfalls vorsichtig. „Die Leser vertrauen darauf, dass wir ihnen nur das als Eilmeldung auf der Website zeigen oder auf die Handys schicken, was wirklich wichtig ist. Deshalb sind wir eher zurückhaltend bei Eilmeldungen“, sagt Focus-Online-Nachrichtenchef Wagner.

In der nächsten Zeit dürfte es bei ihm weiter oft klingeln – die dpa wird jedes Spielergebnis bei der Fußball-WM als Eilmeldung über die Ticker schicken.

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