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Nachruf: Ernst Cramer mit 96 Jahren gestorben

Der Journalist Ernst Cramer, jahrelang die "rechte Hand" von Verleger Axel Springer, ist tot. Ein Nachruf.

In ihm war die Geschichte des vergangenen Jahrhunderts in ihrer schmerzhaftesten und hoffnungsvollsten Gestalt gegenwärtig. Das Dritte Reich machte aus dem jungen Augsburger Ernst Cramer einen verfolgten Juden, der das KZ Buchenwald erlebte und überlebte. Mit der deutschen Niederlage kam der Emigrant als amerikanischer Soldat zurück nach Deutschland, und gehörte seither zu denen, die eine lange Nachkriegszeit unermüdlich dafür gearbeitet haben, dass die Vergangenheit überwunden wird und die Demokratie eine feste Heimstatt in Deutschland hat.

Dieser Aufgabe verband sich für Ernst Cramer mit einer journalistischen Laufbahn, die man glänzend nennen kann. Zuerst Mitarbeiter der „Neuen Zeitung“, war er seit 1957 im Imperium des Springer-Verlags alles, was man werden kann – stellvertretender Chefredakteur der „Welt“, Herausgeber der Sonntagszeitungen des Hauses, schließlich im Management des Verlages Vertrauensmann des Verlegers und seiner Witwe Friede. Doch eine bescheidenere graue Eminenz als diesen kleinen Mann wird es kaum irgendwo je gegeben habe. Dafür wurde er ein unverzichtbarer Teil des Geistes des Hauses: fast schon eine Legende, die auch dann noch regelmäßig in ihrem Büro in der Führungsetage des Hauses erschien, als er alle seine Ämter niedergelegt hatte.

Am meisten beeindruckte an Ernst Cramer die Unermüdlichkeit, aber auch die unangestrengte Bereitwilligkeit zum Verständnis, mit der er die Lektionen seines Lebens weitertrug. Immer wieder, bis ins hohe Alter, schrieb er Artikel, erzählte seine Geschichte, warb für Toleranz, appellierte an die Nachgeborenen. Da war nichts von Rechthaberei und Abrechnung, obwohl seine Eltern und sein Bruder dem Holocaust zum Opfer gefallen waren. Das leise und eindringliche Da-Sein, mit dem er wirkte und lebte, bezeugte die Kraft von Menschlichkeit und Versöhnung, unpathetisch, aber um so eindrucksvoller. Kurz vor seinem 97. Geburtstag, den er in der nächsten Woche hätte begehen können, ist er am Dienstag in Berlin gestorben.Rdh.

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