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„Orange is the New Black“ brauchte einige Zeit, um Fans zu gewinnen. Inzwischen ist die Serie eine der beliebtesten auf Netflix.

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Netflix untersucht Fan-Vorlieben: Wann macht eine Serie süchtig?

Serien haben Suchtpotenzial. Allerdings ist es nicht die Pilotfolge, die über den Erfolg entscheidet.

Beinahe hätte der amerikanische Sender HBO die Erfolgsserie „Game of Thrones“ nach der Pilotfolge 2009 abgesetzt. Der Sender wollte das Projekt noch vor der Erstausstrahlung kippen. Die Produzenten gaben jedoch nicht so schnell auf. Sie kürzten das Drehbuch, besetzten sechs Charaktere um und ließen Thomas McCarthy statt Tim Van Patten Regie führen. Heute gehört „Game of Thrones“ zu den weltweit erfolgreichsten Serien, die der Sender produziert hat.

Schnell werden Serien ohne Erfolg abgesetzt

So eine zweite Chance bekommen nicht viele Serien. Selbst wenn die erste Folge Produzenten überzeugen kann – sind die Einschaltquoten schlecht, wird die Serie abgesetzt. Viele Serien haben es nie über den Pilot hinausgeschafft. Jedoch scheint der Erfolg der ersten Folge kein sicherer Indikator zu sein.

Bereits 2010 fand der amerikanische Analysedienst Nielsen Media heraus, dass auch im Fernsehen viele Serien nicht mehr zur Erstausstrahlung geschaut werden. Fast die Hälfte aller Zuschauer der U.S.-Serie „Mad Men“ zum Beispiel nahmen die Folgen auf und sahen sie sich zu einem späteren Zeitpunkt an. Dadurch gewann „Mad Men“ einen Quotenzuschlag von rund 88 Prozent.

Netflix wertete Kundendaten aus

Dass der Pilot nicht alles ist, bestätigt nun auch eine neue Erhebung von Netflix. Ende September wertete der Streamingdienst Kundendaten aus 16 Ländern aus, um herauszufinden, ab welchem Zeitpunkt Zuschauer nicht mehr von einer Serie ablassen können.

Untersucht wurden 20 Serien, die auf Netflix angeboten werden. Darunter Eigenproduktionen wie „House of Cards“, aber auch Fernsehshows wie „How I met your Mother“. Netflix suchte hierbei nach der sogenannten „Schlüsselfolge“, also der Episode, nach der mindestens 70 Prozent der Zuschauer die ganze Staffel bis zum Ende durchschauten. Nie war es der Pilot. Meist war es erst die dritte Folge, bei anderen dauerte es sogar bis zur achten Folge. Serien wir „Sons of Anarchy“, „Breaking Bad“ oder „The Walking Dead“ hatten bereits nach zwei Folgen den Großteil ihrer Zuschauer für sich gewonnen. Hochgelobte und preisgekrönte Serien wir „Orange is the New Black“, „House of Cards“ oder „Dexter“ brauchten länger, um Fans zu bekommen.

Muster im Zuschauerverhalten finden sich in der Erhebung jedoch nicht. Auch inhaltlich ist es schwer, Vergleiche zu ziehen. Es gibt also keinen besonderen Kniff, mit dem man die Menschen an die Serie binden kann.

Netflix sieht sich gerade deshalb in seinem Konzept bestätigt. „Unsere Kunden schauen Serien nicht, weil zu dem Zeitpunkt nichts Besseres läuft oder sie ansonsten vielleicht den Faden verlieren, wie es beim klassischen Fernsehen der Fall sein kann. Sie schauen Serien, weil es ihnen um die Geschichte geht – und das in ihrem individuellen Rhythmus. Deshalb müssen Serien auf Netflix von hoher Qualität sein, sonst gehen Kunden einfach zur nächsten über“, sagt Chief Content Officer Ted Sarandos.

Entscheidend sei die Story

Sarandos ist verantwortlich für den Inhalt des Streamingportals. Das Hauptkriterium dafür, dass es eine Serie auf Netflix schafft, sagt er, sei schlichtweg die gute Story. Quoten seien bei der Streamingplattform zweitrangig. „Eine gute Geschichte mit komplexen Charakteren braucht nun einmal länger als eine Folge, um sich wirklich zu entfalten“, sagt er. Deshalb würden die Serien auf Netflix nicht pro Folge, sondern pro Staffel veröffentlicht.

Viele gute Serien mussten im Fernsehen wegen schlechter Quote abgesetzt werden. Das Risiko ist für die Sender zu hoch, wegen fehlender Werbeeinnahmen auf den Produktionskosten sitzenzubleiben. Auch die Serien von Netflix sind teuer: Regisseure und Schauspieler aus Hollywood, aufwendige Kamera und Postproduktionen. Dass die Zuschauerzahl kein wichtiger Faktor dafür ist, ob eine Serie – sei es nach einer Staffel oder einer Folge – abgesetzt wird, klingt zunächst unglaubwürdig. Sarandos jedoch sagt: „Die Chance, dass Menschen Fan einer Serie werden, je mehr Zeit sie haben, sich ihr anzunähern, ist höher“.

Netflix veröffentlicht keine Quoten

Da Netflix nicht durch Werbung, sondern durch Abogebühren finanziert werde, könnten Serien, die eher für ein Nischenpublikum gedacht sind, gehalten werden – unabhängig von der Quote. Es gehe ums Gesamtpaket, nicht um einzelne Shows. „Im Gegensatz zu linearem Fernsehen haben wir Platz und Zeit. Bei Netflix muss eine Serie nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt Zuschauerzahlen holen. Das kann auch Jahre später passieren“, sagt Sarandos.

So begründet der Streamingdienst auch, warum er keine Quoten veröffentlicht. Tatsächlich hat Netflix kaum eine Serie eingestellt. Nur die erste Eigenproduktion, „Lilyhammer“, wurde nach zwei Staffeln nicht weitergedreht. Ob das an mangelnden Zuschauern lag, ist jedoch nicht bekannt. Bis jetzt hat der Streamingdienst nur in den USA sein Programm hauptsächlich um mehrere BBC-Serien gekürzt. Grund dafür waren jedoch nicht schlechte Quoten, sondern teure Ausstrahlungsrechte.

Der Trick: Ein guter Cliffhanger

Für Autorin Marta Kauffman ist das Konzept von Netflix zwar aufwendiger, aber wesentlich angenehmer. In den 90er Jahren schrieb sie zusammen mit David Crane den US-Sitcomhit „Friends“. Für Netflix entwickelte sie die Dramaserie „Grace und Frankie“. Nicht alle Handlungsansätze „krampfhaft in die erste Folge stopfen zu müssen“, hätte der Serie sehr gut getan, sagt sie. „Grace und Frankie“ erzählt von einer ungewöhnlichen Freundschaft zweier Frauen in den 70ern. Da sie beide von ihren Ehemännern verlassen werden, weil die sich ineinander verliebt haben, finden Grace (Jane Fonda) und Frankie (Lily Tomlin) notgedrungen zueinander. „Eine Serie über alte Frauen und schwule Männer hätte es im klassischen Fernsehen wahrscheinlich schwerer“, sagt Kauffman, „doch spricht sie verschiedene kleine Gruppen an, die vielleicht auf den ersten Blick niemand so zusammengebracht hätte.“ Die Schlüsselfolge bei Kauffmans Serie war die vierte. Aber auch für sie ist die gute Geschichte das Einzige, was sie beim Schreiben einer Serie berücksichtigt: „Ob meine Serie viele Zuschauer bekommt oder nicht, muss als Autorin nicht meine Sorge sein.“

Nach einer großen Erhebung, wie sie Netflix durchgeführt hat, ist das Fazit erstaunlich simpel: Menschen mögen Serien, wenn sie gut sind. Das festzustellen, kann unterschiedlich lange dauern, je nachdem, wie sich die Serie entfaltet. Netflix kann sich dieses Konzept leisten. Ein Kniff, verrät Sarandos, sei jedoch immer hilfreich, um Zuschauer an eine Serie zu binden: der Cliffhanger. „Er ist kein Muss“, sagt Sarandos, „jedoch funktioniert er nach wie vor ziemlich gut“.

Alice Hasters

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