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Es sieht unspektakulär aus, das Internet.

© dapd

Netzstruktur: Wo das deutsche Internet wohnt

Der DE-CIX in Frankfurt ist der wichtigste Internetknoten der Welt. Die grauen Schränke sehen auf den ersten Blick unspektakulär aus, doch von diesem Rechenzentrum hängt das Internet in ganz Europa ab.

Im deutschen Internet ist es laut und warm. Die Lüfter machen so viel Krach, dass fast schreien muss, wer sich verständigen will. Trotzdem ist die Temperatur in dem Raum so hoch, dass es in der Jacke sofort unerträglich heiß wird. Gäbe es diese Nebenwirkungen nicht, wäre das deutsche Internet nicht sonderlich beeindruckend. "Das ist alles?" "Ja", brüllt Arnold Nipper. Das Internet passt in vier Schränke, jeder zwei Meter hoch, einen halben Meter breit und verbunden mit einem Bündel gelber Glasfaserkabel.

Die Schränke gehören dem DE-CIX, dem deutschen Internetknoten, und sie stehen an der Hanauer Landstraße, einem Rechenzentrum in einem Industriegebiet im Osten von Frankfurt am Main. Arnold Nipper ist der Gründer des Netzknotens, heute der technische Leiter und durchaus stolz auf sein Werk. Zu Recht, auch wenn es auf den ersten Blick unspektakulär aussieht: Der Raum, einer von vielen identischen in dem Rechenzentrum, ist klein, hat graue Wände, einen schmutzigweißen Linoleumfußboden, gelbe Kabel, Neonlicht. Das passt zur Umgebung draußen, viele Tankstellen, viele Lagerhallen, wenig Bäume. Wäre Langeweile eine Landschaft, sähe sie genau so aus.

Doch wer sich deshalb geringschätzig abwendet, sieht das Wesentliche nicht. Die Schränke des DE-CIX sind eine der wichtigsten Infrastrukturen in Deutschland. Und sie sind ein gutes Beispiel dafür, warum das Internet in seiner Idee auf den ersten Blick kaum zu erfassen ist.

Das Netz besteht aus vielen Netzen

Es beginnt damit, dass es "das" Internet gar nicht gibt. Es besteht aus vielen einzelnen Netzwerken, die miteinander verbunden sind. Jedes davon versorgt vielleicht eine Stadt, eine Region oder ganze Länder mit Daten. Die Betreiberfirmen bauen oder mieten Datenleitungen und Rechenzentren und schließen Kunden ans Netz an. Sie werden IP-Carrier genannt. Hunderte davon gibt es, sie heißen Strato, 1&1 oder OSN Online Service Nuernberg. Die Telekom ist zwar ein sehr großer Carrier, aber letztlich nur einer unter vielen.

Wenn nun jemand vor seinem Rechner im Taunus sitzt und ein Video anschauen möchte, das auf einem Server zum Beispiel in Finnland liegt, durchqueren seine Daten mehrere solcher Netzwerke. Damit das möglich ist, müssen die einzelnen Netzwerkbetreiber ihre Daten untereinander austauschen, und damit müssen sie durch die Leitungen, die Nipper und seine Mitarbeiter betreuen.

Einen solchen Austausch gibt es in jedem Markt, ob dort nun mit Gas gehandelt wird oder mit Telefonanschlüssen. Will ein Berliner nicht bei seinem Berliner Anbieter sein Gas beziehen, sondern bei einem in Hamburg, müssen der Hamburger und der Berliner Gasanbieter miteinander einen Vertrag aushandeln. Dabei geht es vor allem um die sogenannte Durchleitungsgebühr. Zwar wird das Hamburger Gas nicht zu dem Kunden nach Berlin gepumpt, aber der Hamburger Betreiber zahlt eine Gebühr dafür, dass er das Berliner Gasnetz "nutzt", also einen Kunden dort abgeworben hat.

Aus Frankfurt werden Datenpakete in alle Welt verschickt

Provider tauschen Daten untereinander aus

Im Internet ist das anders – weil so viele verschiedene Netze und Anbieter existieren. Damit das ganze Netz funktioniert, damit also der Kunde im Taunus problemlos in alle Welt surfen kann, müssen viele Betreiber seine Daten weiterreichen. Müsste jeder mit jedem einen solchen Vertrag zur Durchleitung abschließen, gäbe es kein weltweites Internet, die Verhandlungen dazu wären viel zu mühsam.

Daher haben sich Netzanbieter darauf geeinigt, sich gegenseitig nichts zu berechnen und diesen Austausch – Peering genannt – an zentralen Punkten zu regeln, den sogenannten Internetknoten. Finanziert wird die Infrastruktur mit einer Gebühr, die jeder IP-Carrier, der mitmachen will, an DE-CIX zahlt. Oder an AMS-IX in Amsterdam oder einen anderen großen Knoten.

Weltweit gibt es mehrere Hundert solcher Austauschpunkte. Der nach Datendurchsatz größte ist der DE-CIX in Frankfurt. Wie ein Zentrum zum Postverteilen schickt es Datenpakete in alle Welt.

"Ende 2000 haben wir in Spitzenzeiten 700 Megabit pro Sekunde durchgeleitet", sagt Nipper. "Heute sind es bis zu 2,2 Terabit, das ist mehr als das Dreitausendfache." Eine unvorstellbare Datenmenge, die auch durch Vergleiche nicht anschaulicher wird. Aber jeder, der hierzulande ins Internet geht, muss mit seinen Daten auf dem einen oder anderen Weg in Frankfurt vorbei.

In den sogenannten Switches dieser Knoten wird dabei nichts gespeichert. Was an einem Ende an Lichtsignalen hineinrauscht, strömt am anderen Ende wieder hinaus. Deswegen sehen sie im Vergleich zu einem Rechenzentrum von Facebook oder Google so unbeeindruckend aus. Und sind doch so wichtig.

Doppelte Struktur

Längst ist es nicht nur das deutsche Internet, dass durch die Lichtleiter transportiert wird. 60 Prozent der Kunden des DE-CIX kommen aus dem Ausland, vor allem aus Osteuropa und Asien. Frankfurt hat für diese Regionen eine ähnliche Bedeutung wie London und Amsterdam für die Verbindung nach Amerika, weil aus diesen Städten die Seekabel direkt in die USA führen.

Würden die Switches des DE-CIX ausfallen, wäre das Netz in weiten Teilen Europas zumindest langsam, wenn nicht komplett weg. Nippers eigentlicher Job ist daher nicht unbedingt der laufende Betrieb. Er soll vor allem vorsorgen, falls irgendetwas kaputt geht. "Spannend ist nicht der Normalfall", sagt er, "spannend ist der Fehlerfall."

Deswegen bieten die Standorte – die Switches stehen an vier verschiedenen Orten – alles, was man sich in diesem Zusammenhang vorstellt: Wachleute, Überwachungskameras, Sicherheitsschleusen mit Fingerabdruckscannern, Ersatzteilversorgung rund um die Uhr, doppelt ausgelegte Stromversorgung, Schiffsdiesel im Keller für den Notstrom. Die komplette Rechnerstruktur, Core genannt, gibt es zwei Mal, einmal im Osten der Stadt, einmal im Westen. Im Zweifel kann der gesamte Datenverkehr auf den zweiten Core geleitet werden. Damit das auch funktioniert, wird es ständig gemacht: "Wir schalten alle zwei Monate zwischen den beiden Verteilknoten um", sagt Nipper.

Ausbau geplant

Weil das Hin- und Herschalten aufwändig ist und nicht alle Probleme behebt, wird ausgebaut. Im kommenden Jahr soll es beginnen, das Ziel sind insgesamt vier Cores. Drei können dann ständig parallel laufen, einer gewartet und repariert werden. Das kostet Millionen, erhöht gleichzeitig aber auch die Kapazität. Derzeit stecken Kabel an den Switches, von denen jedes zehn Gigabit Daten pro Sekunde durchleitet. Die neuen Geräte können pro Stecker einhundert Gigabit pro Sekunde weiterschicken.

"Ich glaube nicht, dass das Datenvolumen in den kommenden zwölf Jahren im Vergleich zu heute wieder um das Dreitausendfache steigt", sagt Nipper. Aber ganz sicher ist er sich offensichtlich nicht.

Quelle: www.zeit.de

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