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Die Nichtssager. Der ADAC hat die „Verschlossene Auster“ 2014 gewonnen, den von der Journalistenvereinigung „Netzwerk Recherche“ verliehenen Negativpreis „für Auskunftsverweigerer in Politik und Wirtschaft“. Foto: dpa

© REUTERS

"Netzwerk Recherche": Halt und Haltung in Hamburg

Die Journalistenvereinigung „Netzwerk Recherche“ diskutiert NSA, Datenjournalismus und „SOS-things“.

„You’ll never walk alone“ ist kein schlechtes Motto, wenn sich dieser Tage Medienleute versammeln. Rund 200 Referenten, mehr als 800 Journalisten und solche, die es werden wollen, waren in Hamburg zur Jahrestagung des Journalistenverbands „Netzwerk Recherche“ zusammengekommen. Die internationale Beteiligung beim wohl bedeutendsten Branchentreffen, bei dem es stets um Praxisberichte ebenso wie um Grundsatzdebatten geht, war dieses Jahr besonders groß.

Neben dem berühmten und vielfach preisgekrönten US-Investigativjournalisten Seymour Hersh waren Sara Harrison, Wikileaks-Mitarbeiterin und Unterstützerin von Edward Snowden, Luke Harding vom „Guardian“, der ein Buch über die Snowden-Enthüllungen geschrieben hat, und Internet-Spezialist Paul Myers dabei. Eines der wichtigsten Themen war denn auch die weltweite Massenüberwachung der Geheimdienste, das durch die aktuellen Skandale aus dem NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestages neue Brisanz erhielt.

Dem Gremium sprach Internetaktivistin Sarah Harrison nur eine Alibi-Funktion zu, „bei dem nicht wirklich etwas passieren wird“. Harrison, die aus England stammt, lebt derzeit in Berlin. Auch wenn es aufgrund von Auslieferungsabkommen keinen echten Schutz in Deutschland für sie gäbe, fühle sie sich hier sicher. Deutschland verfüge über eine beeindruckende Gegenkultur und eine engagierte Zivilgesellschaft. Allein, dass so etwas wie der Chaos Computer Club in Deutschland möglich sei, spreche für das Land, meinte Harrison.

Vergleiche zwischen der deutschen und der US-Medienszene zog eine Podiumsdiskussion, bei der unter anderem Seymour Hersh, Andrew Lehren von der „New York Times“ und Georg Mascolo, Ex-„Spiegel“-Chefredakeur und Leiter des Rechercheverbunds von NDR, „Süddeutscher Zeitung“ und WDR teilnahmen. Hersh, der dem „Spiegel“ bescheinigte, nach 9/11 sehr viel besser gearbeitet zu haben als alle US-Medien, stellte die investigative Recherche als „SOS-thing“ dar. „Sie ist teuer und sie bringt kein Geld ein.“ Als Beispiel nannte er auch den „Guardian“, der auch nach den Snowden-Enthüllungen immer noch in schweren finanziellen Turbulenzen sei.

Welche neuen Recherchemöglichkeiten das Internet bietet, wurde in zahlreichen Workshops deutlich. Ob lokaler Datenjournalismus, Tricks und Tipps für Suchmaschinen oder Tools für Umweltrecherchen – nie gab es so viele Möglichkeiten, an Quellen heranzukommen. Mit welcher Haltung man als Journalist dabei an seine Arbeit geht, wurde bei dem Panel „Journalist/innen 2014: Wer sind wir? Neutrale Beobachter oder engagierte Aktivisten?“ erörtert. Enthüllungsjournalist Günter Wallraff, „Bild“-Kritiker Stefan Niggemeier, Annette Bruhns, „Spiegel“-Redakteurin und Vorsitzende von ProQuote, und Oliver Schröm vom „Stern“-Investigativressort waren sich relativ einig, dass sich Journalisten auch entgegen dem Credo des früheren „Tagesthemen“-Anchormans Hanns Joachim Friedrichs ab und zu mit einer guten Sache gemein machen müssten. „Zum Journalismus gehört natürlich auch, sich für Dinge einzusetzen“, sagte etwa Niggemeier. Objektivität gebe es ohnehin nicht, fand Wallraff. „Journalismus muss auf der Seite der Schwachen sein.“ Dennoch betreibe etwa Wikileaks keinen Journalismus, sagte Schröm. „Da wird alles an Informationen rausgehauen, ohne die Quellen zu schützen. Das ist fatal.“

Der Negativpreis der „Verschlossenen Auster“ für die Informationsblockade des Jahres ging an den ADAC für sein Verhalten nach den Enthüllungen über Manipulationen beim Autopreis „Gelber Engel“. Anstatt aufzuklären, habe der ADAC die Medien pauschal diffamiert und Fehler nur scheibchenweise eingestanden. Die Laudatio hielt der ehemalige ADAC-Sprecher und Chefredakteur der „ADAC Motorwelt“, Alfons Kifmann. Er kritisierte „diese Tonart der maßlosen Selbstüberschätzung und scheinbaren Unangreifbarkeit, die viele Journalisten bereits kannten.“

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