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Was weiß man von seinen Nachbarn wirklich? Kommissar Hattinger (Michael Fitz, links) kennt nur die nette Seite von Albrecht Ostermeier (Edgar Selge). Foto: ZDF

© Marco Nagel

Neue Aufgabe für Michael Fitz: Carlo endlich Kommissar

Michael Fitz war als Carlo Menzinger der ewige Assistent im München-„Tatort“. Nun darf er als Kommissar Hattinger seinen ersten Chiemsee-Kriminalfall lösen. Dabei stößt er auf einen brillanten Edgar Selge

Im deutschen Krimifernsehen sind die Bayern-Wochen angebrochen. Am Donnerstag geht Herbert Knaup im Ersten als Allgäuer Grantler-Kommissar Kluftinger seinen dritten Fall an. Eine Woche später wird der ungehobelte Polizeiwachtmeister Franz Eberhofer im fiktiven Ort Niederkaltenkirchen wiederum in der ARD dem Dampfnudelblues begegnen. Zuvor an diesem Montag hat jedoch Kommissar Hattinger im ZDF Premiere mit seinem ersten Chiemseekrimi.

Der Hattinger – beim Vornamen nennt ihn keiner, nur seine 16-jährige Tochter Lena (Hanna Plaß) sagt Papa zu ihm– wird von Michael Fitz gespielt. Fitz war der ewige Assistent der Münchener „Tatort“-Kommissare. 17 Jahre lang hatte er als Carlo Menzinger unter den Schrullen von Batic und Leitmayr zu leiden, bevor er 2007 das Team verließ. Nun ist Fitz als Kommissar Hattinger selbst der Chef und hat einen Assistenten, an den er seine Erfahrung weitergeben kann.

Der Hattinger ist ein Eigenbrötler. Es ist nicht so, dass er mit seinem Team nicht kommuniziert, allerdings eher in Befehlsform als im Dialog. Was er denkt und wie seine nächsten Schritte aussehen, behält er gerne für sich. Und die wichtigen Befragungen führt er ohnehin alleine durch. Von seiner Frau ist er geschieden, die seither fehlenden Möbel hat er noch immer nicht nachgekauft. Die Jahre sind auch an Darsteller Fitz nicht spurlos vorbeigegangen. Aber wenn sein Hattinger das figurbetont geschnittene Hemd locker über der Hose trägt, kann man trotz seiner 55 Lenze noch immer den jungen Menzinger erkennen.

Beim Chiemsee kommen bei vielen Menschen vermutlich Urlaubsgefühle auf. Doch von bayerischer Idylle mit Geranienkästen vor den Fenstern ist der Chiemseekrimi weit entfernt. Der mit Grimme- und Fernsehpreisen ausgezeichnete Regisseur Hans Steinbichler („Hierankl“, „Winterreise“, „Die zweite Frau“) stammt selbst aus Oberbayern, sein Abitur hat er in Prien am Chiemsee gemacht, wo nun Hattingers Wache steht. Auf malerische Panoramen des Alpenvorlandes verzichtet Steinbichler allerdings – ohne die Schönheit des Landstriches rauszuretuschieren. Die Menschen reden in mildem Dialekt, der an die bundesweite Ausstrahlung angepasst wurde.

„Hattinger und die kalte Hand“ entstand nach dem Roman „Chiemsee Blues“ von Thomas Bogenberger, das von seiner Frau Ariela Bogenberger („Marias letzte Reise“) verfasste Drehbuch wurde von Steinbichler bearbeitet. Die schauspielerisch anspruchsvollste Aufgabe in diesem Chiemseekrimi hat nicht Michael Fitz, sondern Edgar Selge bekommen – und er löst sie mit Bravour. Selge spielt Hattingers Nachbarn Albrecht Ostermeier. Vor 20 Jahren hat Ostermeier seine 15-jährige Tochter verloren, seine Frau ist vor einigen Jahren ebenfalls gestorben. Nach außen ist er ganz der nette Nachbar, doch wehe, wenn sich seine andere Seite zeigt.

Der Zuschauer ist der Polizei um Längen voraus. Als zwei Jungen die Leiche eines Mannes finden, der mit einem Beatmungsgerät vor dem Mund tot auf einem Segelboot liegt, wird dem Publikum bereits ein Verdächtiger geliefert. Und bei der Ermordung der Schriftstellerin Annette Kaufmann (Ursula Karven) sind die Zuschauer live dabei. Die große Kunst von Steinbichlers Inszenierung besteht darin, die Zusammenhänge, die Motive und das große Geheimnis ganz behutsam wie die Schichten einer Zwiebel freizulegen. Weil der Mörder bereits sehr früh bekannt ist, verliert der Spoiler – siehe Text links – seinen Schrecken. Vor allem aber erlaubt die Abkehr vom Whodunit-Kimi, also dem „Wer war es?“, dem Zuschauer, sich auf erheblich tiefergehende Weise mit dem Täter zu beschäftigen. Kurt Sagatz

„Hattinger und die kalte Hand – Ein Chiemseekrimi“, Montag, 20 Uhr 15, ZDF

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