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Was spontan aussieht, ist bewusst, inszeniert. Immer mehr professionelle Fotografen bieten wie hier bei Getty-Images Bilder im Schnappschuss-Look an.

© Dave Nagel/Getty Images

Neue Bildsprache durch Facebook & Instagram: Gefühlsecht

Millionen Menschen machen täglich Fotos mit ihren Handys und teilen sie auf Netzwerken wie Facebook und Instagram. Damit setzen sie die bisher geltenden Gesetze in der Werbung außer Kraft.

Wie der Mann fluchend auf dem Tennisplatz auf- und abspringt, weil er gerade gegen seinen Nachbarn verloren hat, wie das Mädchen glücklich in die Kamera winkt, als es mit den Skateboard über den Rasen rollt, wie der Donut dem Betrachter zum Anbeißen nah vor die Nase gehalten wird, – all diese Bilder sehen aus, als hätten sie Freunde oder Familie mit der Handykamera fotografiert, Momentaufnahmen aus dem Leben heraus, nur wenige Minuten später auf Facebook, Instagram, Pinterest oder anderen Netzwerken geteilt. Doch bei diesen Bildern handelt es sich nicht um echte Momentaufnahmen. Es sind inszenierte Szenen – die genau so aussehen sollen, als seien sie mitten aus dem Leben heraus entstanden. Zu sehen sind sie in den aktuellen Werbespots für den neuen VW Golf und für Schwäbisch Hall. Wie der Autohersteller und die Bausparkasse setzen immer mehr Unternehmen auf eine solche Bildsprache, um für sich zu werben. Die Zeiten für Hochglanzbilder sind vorbei, dank Apps wie Instagram und Hipstamatic, die Millionen Nutzern weltweit auf mobilen Geräten wie Handys und Tablet-PCs installiert haben. Diese Apps bieten Filter, mit denen Bilder im Moment der Entstehung bearbeitet werden können: „Early Bird“ lässt bei Instagram das Bild leuchten wie im sanften Morgenlicht, mit „Inkwell“ wird es schwarz-weiß und „1977“ verpasst ihm einen Retrolook. Mit einem weiteren Knopfdruck werden die Aufnahmen dann auf der Instagram-Website oder anderen Plattformen wie Facebook und Twitter mit anderen Nutzern geteilt. Mehr als 30 Millionen Menschen teilen allein per Instagram ihre Schnappschüsse. Eine Bilderflut, die die bisher geltenden Gesetze in der Werbefotografie außer Kraft gesetzt hat. „Mussten Fotos früher noch perfekt ausgeleuchtet, Models bis zum kleinen Zehnagel komplett retuschiert sein, wird ein solch ,glatter‘ Look heute in bestimmten Situationen schon beinahe als irritierend empfunden“, sagt Thomas Schwarz, Geschäftsführer Kreation bei der Werbeagentur Ogilvy & Mather, die den Schwäbisch-Hall-Spot entwickelt hat. Gefragt sind Fotos, die wie Schnappschüsse aussehen, aus dem Urlaub, von Partys, vom Sonntagsbrunch, vom Spielen mit den Kindern im Garten. Gerne ein bisschen unscharf oder verwackelt, unter- oder überbelichtet, denn gerade das bringt den gewünschten Effekt: Die Situationen wirken echt – selbst, wenn sie inszeniert sind. „Die Betrachter müssen das Gefühl haben, dass sie die Szenen, die Emotionen aus ihrem eigenen Leben kennen“, erklärt Schwarz das Ziel der neuen Bildsprache. In den Kampagnen steht deshalb oft nicht das Produkt selbst im Vordergrund, sondern die Gefühle, die damit verbunden werden sollen – transportiert über Bilder im Look à la Instagram. „Du kaufst keine Wohnung. Und auch kein Haus. Du kaufst den Nachbarn, der das gleiche Hobby hat“, heißt es im Schwäbisch-Hall-Spot, in dem der Tennisspieler so aufgebracht auf- und abhüpft. Und wenn Volkswagen die Betrachter der Golf-VII-Kampagne fragt: „Wenn du im Leben nur eines essen könntest, was wäre es?“ und dazu den Donut zeigt, dann soll es um Leidenschaft gehen, am Ende um die Leidenschaft für das vermeintlich richtige Automobil. Dass die Nachfrage nach solchen Bilder enorm steigt, hat auch Michaela Schwing festgestellt. Sie forscht bei der Bildagentur Getty Images nach neuen Bildertrends, damit das passende Angebot für Unternehmen, Werbeagenturen und Medien bereitgestellt werden kann. Derzeit macht Schwing bei ihrer Forschung zwei große Schwerpunkte aus: „Gefragt sind Fotos, die Alltäglichkeit transportieren. Und Bilder, denen die Aura des Handgemachten anhaftet“, sagte sie. Alltäglichkeit bedeute Vertrautheit mit Situationen und genau darum gehe es Unternehmen in Krisenzeiten: „Sie wollen das Vertrauen ihrer Kunden gewinnen und das wird vor allem dann geweckt, wenn echte Menschen gezeigt werden“, sagt Schwing. Seit einiger Zeit arbeitet Getty Images deshalb mit dem Fotoportal Flickr zusammen, wo vor allem Hobbyfotografen ihre Aufnahmen hochladen. „Die Bilder sind sehr gefragt, denn die Flickr-Fotografen machen Aufnahmen von Situationen, die sie selbst erleben. Sie müssen sie nicht erst inszenieren und die Betrachter können diesen Unterschied sehr wohl spüren“, sagt Schwing. Allerdings: Ein solcher Schnappschuss dürfe zwar wie ein Schnappschuss aussehen, aber müsse dennoch gewisse Standards erfüllen, was Schärfe, Licht und Format betrifft. „Eine hohe Professionalität ist weiterhin gefragt“. Der zweite große Trend, den Schwing festgestellt hat, ist der Wunsch nach Handwerklichem. „Die Kameras werden immer kleiner und immer besser, aber gleichzeitig gefällt es den Nutzern, den Bildern, die mit modernster Technologie gemacht sind, mithilfe von Apps wie Instagram einen Hauch von Vergangenheit überzustreifen.“ Auch das habe etwas mit Vertrautheit von Situationen zu tun. Diese perfekt unperfekten Bilder seien vor allem in Europa und den USA gefragt, nicht aber in Regionen wie Brasilien. „Dort verkaufen wir Fotos, wie sie in wirtschaftlich besseren Zeiten in den westlichen Industrieländern gewollt waren. Hochglanzmotive, in denen es um Shoppen, Party, Geldausgeben geht. Eine positive, ausgelassene Stimmung“. In Deutschland würden die Kunden eher Motive suchen, die für Werte wie Familie und Geborgenheit stehen, Sicherheit in unsicheren Zeiten vermitteln.

Wie lange dieser Trend noch andauern wird, vermögen weder Michaela Schwing noch Werbeexperte Thomas Schwarz abzuschätzen. „Wenn aber alle auf die gleiche Bildsprache setzen, wird es für Unternehmen schwierig, sich von der Masse abzuheben. Deshalb dürfte es nicht lange dauern, bis wieder artifizielle, überhöhte Motive angesagt sind“, sagt Schwarz.

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