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Mit ihrem Latein noch nicht am Ende. Margarita Broich, 53, wird neue „Tatort“-Kommissarin. Bei diesem Job kennt sie sich aus. Ihr Mann Martin Wuttke ermittelt bereits. Foto: dpa

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Neue Kommissarin in Frankfurt: Der "Tatort" bleibt in der Familie: Margarita Broich wird TV-Ermittlerin

Etwas Besseres als die Wahrheit gibt es nicht. Eine Begegnung mit Margarita Broich, der neuen Frankfurter „Tatort“-Kommissarin.

Die Mutter hatte alles für ihr Leben vorbereitet. Margarita Broich trainierte als junges Mädchen Tennis und Schwimmen. Sie lernte Französisch, Reiten und Skifahren. Die Mutter aus dem Rheinland rechnete fest damit, dass ihre Tochter einmal einen Schweizer Zahnarzt heiraten würde, aber älter als 30 sollte er nicht sein. Der Mann, mit dem Margarita Broich eines Tages in der Tür stand, war nicht besonders groß, hatte eine hohe Stirn und hieß Heiner Müller. Sie war 21, er 50, fast so alt wie ihr Vater und dazu ein kommunistischer DDR-Schriftsteller ohne Ausreiseantrag. Für die Mutter brach damals die Welt zusammen. Der Vater begrüßte den Neuen mit den Worten: „Kommen Sie mal rein, junger Mann.“

Margarita Broich lacht, als sie davon erzählt. „Mein Vater hatte echt Humor“, sagt sie. „Ich habe ihn dafür geliebt.“ Es ist nachmittags, Margarita Broich sitzt in einem Charlottenburger Café. Jeans, Pullover, rote Lippen. Gerade hat sie mit ihrem Sohn Latein-Vokabeln geübt. „Ich bin jetzt mit meinem Latein am Ende“, sagt sie und muss schon wieder lachen. Sie lacht viel und oft an diesem Tag. Aber es ist kein aufgesetztes, oberflächliches Lachen, es kommt von Herzen und aus ihrer Haltung zum Leben, als ließe sich damit alles besser verstehen.

Vor kurzem hat sie der Hessische Rundfunk zur Kommissarin berufen. Im Frankfurter „Tatort“ wird sie an der Seite von Joachim Król spielen, die erste Folge wird voraussichtlich im zweiten Halbjahr 2014 ausgestrahlt. „Ich bin mit dem ,Tatort’ groß geworden“, sagt sie. „Dieses deutsche Kleinod hat eine lange Tradition, und natürlich ist es toll, wenn man dann in dieser großen Kette auf einmal so eine Perle sein darf.“ Sie dreht den Ring am Finger ihrer rechten Hand und guckt misstrauisch aus ihren grünen Augen. „Ich denke immer, wenn es zu gut läuft, kommt der Himmel herunter, fällt mir was auf den Kopf und ich muss für etwas büßen.“ Sie ballt die Hand zur Faust und klopft drei Mal auf den hölzernen Rand des Kaffeehaustischs. Poch, poch, poch. Margarita Broich weiß, wie das Leben plötzlich in ganz anderen Bahnen verlaufen kann.

1960 wird sie in eine intakte, katholische Welt hineingeboren. In Neuwied im Westerwald liegt das Franziskanerkloster, in einer Privatklinik arbeitet ihr Vater als Arzt für Kriegsversehrte und TBC-Kranke. Er ist ein Hansdampf in allen Gassen, spielt Klavier und den Clown, er ist ein „Wirtschaftswunderbrocken“, sagt Margarita Broich über ihn. Sie wächst mit drei Geschwistern auf. Als die Arbeit des Vaters immer weniger wird und das Interesse des Klosters an seiner Klinik steigt, verkauft er sie innerhalb von drei Wochen für einen Spottpreis.

Kreischt, schreit, trinkt. Margarita Broich in „Die Quellen des Lebens“. Foto:WDR
Kreischt, schreit, trinkt. Margarita Broich in „Die Quellen des Lebens“. Foto:WDR

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Er ist damals Ende 50. Von einem Moment zum anderen fällt die Familie in Ohnmacht und erlebt die Zeit danach wie im Dornröschenschlaf. Margaritas Vater verlässt nicht mehr das Haus, wäscht sich nicht, streunt im Bademantel umher. Bis zu seinem Tod geht das so, sieben Jahre lang. Die Mutter schluckt Valiumtabletten. „Aus der gutbürgerlichen Großfamilie wurde eine der größten, depressiven Dynastien Deutschlands“, sagt Margarita Broich. „Damals habe ich das nicht so gemerkt, weil man die Eltern einfach liebt. Wenn ich heute aber manchmal an meine Jugend denke, sehe ich ein relativ skurriles Elternhaus.“

Es ist erstaunlich, wie freimütig Margarita Broich aus ihrem Leben erzählt. In einer Talkshow wurde sie gefragt, weshalb sie ihrem Mann Martin Wuttke geraten habe, die Rolle des „Tatort“-Kommissars anzunehmen. Ihre Augen blinzelten im Sekundentakt: 21, 22, 23… Dann antwortete sie: „Wir steckten gerade in finanziellen Schwierigkeiten.“ Ehrlichkeit wirft keine Schatten, und etwas Besseres als die Wahrheit war ihr in diesem Moment nicht eingefallen. Ihre Eltern hatten sich gewünscht, dass sie Ärztin werden würde. Aber sie konnte kein Blut sehen. Stattdessen studierte sie Fotodesign in Dortmund. Als ihr damaliger Studienfreund sie verließ, bewarb sie sich am Schauspielhaus Bochum. Per Telefon. „Ich rief dort an, und wollte irgendetwas machen“, erzählt sie. „Requisite oder Maske. Ich hatte keine Ahnung, was das für ein bedeutendes Haus ist.“ Man engagierte sie als Theaterfotografin, 1981 lernte sie in Bochum Heiner Müller kennen. Irgendwann wurde ihr die Arbeit zu langweilig. Ihre Bilder hingen in einem Glaskasten, sie sah immer nur das Ergebnis. Sie wollte lieber am Prozess teilhaben und wechselte die Seiten: Statt zuzuschauen, stand sie nun selbst auf der Bühne. Sie spielte in Frankfurt die Adelheid im „Götz von Berlichingen“, in Berlin die Ophelia in „Hamlet“ und Doris Schröder-Köpf in Christoph Schlingensiefs „Rosebud“.

In dieser Rolle hatte sie sich nach einer Vorstellung selbst fotografiert: Sie schaut in den Garderobenspiegel, Theaterblut läuft ihr über das Gesicht. Das Foto war der Beginn einer Porträtserie über Schauspielerkollegen: Marie Gruber, Milan Peschel, Kate Winslet, Nina Hoss, Otto Sander, Ben Becker. Ihre Ausstellung „Ende der Vorstellung“ tourt durch Österreich und Deutschland, gerade hat sie in ihrer Heimatstadt Neuwied Station gemacht. Die Fotografien zeigen die Darsteller in dem Moment, wenn alles vorbei ist. Erschöpft, unaufgeräumt und entrückt blicken sie nach der Vorführung in die Kamera. Die Porträts sind eine Hommage an die Schauspieler und ihren Beruf. Margarita Broich sagt, dass sie sich während des Fotografierens noch einmal neu in ihn verliebt habe.

Sie verwandelte sich in einen schrägen Vogel, eine Tiffy aus der Sesamstraße

Auf einer der Aufnahmen ist ihr Mann nach einer Aufführung von „Gretchens Faust“ am Berliner Ensemble zu sehen. Martin Wuttke trägt eine blonde Perücke auf dem Kopf, vor ihm liegt ein schwarzer Pudel, der Schauspieler raucht eine Zigarette. Ende der 1980er Jahre lernte sie ihn in Frankfurt kennen. In der Stadt, in der sie jetzt bald als TV-Kommissarin ermitteln wird. Für ihn hat sie Heiner Müller verlassen. Heute haben sie zwei Söhne, einer davon wurde in Frankfurt geboren. „Für mich hat sich mit Frankfurt ein Kreis geschlossen“, sagt Margarita Broich. „Es ist wie eine Heimkehr, die mich total berührt.“

Als sie vor neun Jahren die Sicherheit ihres Theaterlebens aufgab, sich selbstständig machte, um mehr für Film und Fernsehen zu arbeiten, fragten sich einige ihrer Freunde: Warum tut sie sich das an? In diesem Jahr wurde sie für ihre Rolle in dem Kinofilm „Quellen des Lebens“ für den Deutschen Filmpreis nominiert. Margarita Broich spielte eine Großmutter, gut betucht, mit eigenem Chauffeur und dem nötigen Kleingeld für das KaDeWe. Alles an ihr war unecht: der Busen, der Hintern, die Fingernägel. Sie verwandelte sich in einen schrägen Vogel, eine Tiffy aus der Sesamstraße. Sie kreischte, lachte, schrie und trank. Mit jeder Champagnerflasche, die sie entkorkte, sprudelte es aus ihr heraus. Ihr Schauspiel war wie das Feuerwerk zu Silvester: Knallbunt, hoch leuchtend.

Zur Preisverleihung im Friedrichstadt-Palast hatte sie eine Rede vorbereitet, aber den Preis dann doch nicht gewonnen. „Ich selber war gar nicht so traurig“, sagt sie. „Es tat mir nur leid für meine Kinder, und für alle, die mir die Daumen gedrückt haben. Natürlich war man kurz vorm Tor und hatte den Ball vor den Füßen. Es ist keine Tragödie. Wichtig war für mich die Nominierung. Alle Akademiemitglieder haben mich endlich mal in einem Film wirklich gesehen und wahrgenommen.“

Es ist ein warmer Frühlingsabend, als Margarita Broich barfuß in Mokassins vor dem Kino Arsenal in der Potsdamer Straße steht. Sie kommt gerade aus dem Schwimmbad. Im Arsenal findet das Jüdische Filmfestival statt, dessen Patin sie ist. Sie will sich eine israelische TV-Serie anschauen. Später, während der Vorstellung, kann man im Saal ihr lautes Lachen hören. Solange bei ihr das Leben in Ordnung sei, sagt Margarita Broich, lache sie jeden Tag. Und auch, weil ihre Mutter immer so traurig gewesen ist.

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