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Platz die Groko? Anne Will und ihre Gäste diskutieren

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Neue SPD-Spitze bei „Anne Will“: Wenn es maximal knallen soll – und dann nur Puff macht

Drinbleiben oder raus? Die neue SPD-Führung soll bei "Anne Will" die Frage nach der Groko beantworten.

Da sitzen zwei, die Großes planen. In den nächsten zehn Jahren wollen sie 500 Milliarden Euro investieren, in Schulen, Straßen, Brücken. Der Mindestlohn soll weiter erhöht, die Grundrente auf die Tagesordnung gesetzt, die Klimagesetzgebung massiv verschärft werden. Wie lässt sich das finanzieren? Sprudeln die Steuereinnahmen noch stärker als heute?

Das waren die Gäste am Sonntag bei "Anne Will":

  • Die neue SPD-Spitze: Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans
  • Armin Laschet (CDU): Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen und stellvertretender Parteivorsitzender
  • Die Parteivorsitzende der Linken Katja Kipping
  • Christoph Schwennicke: Chefredakteur des "Cicero"
  • Ursula Münch: Politikwissenschaftlerin an der Bundeswehr-Uni München

Ach was, im Gegenteil. Die Konjunktur kühlt ab, sagen sie. Mehr Schulden machen! Das sei die Lösung. Die „schwarze Null“ im Bundeshaushalt, auf die der Finanzminister ihrer eigenen Partei stets stolz ist, sei ohnehin nur ein „Mythos“. Bei Karl May raunen sich Indianer, wenn sie baff sind, zwei kurze Worte zu: Uff, uff.

Die Talkshow von Anne Will, nach dem „Brexit-Moment in der SPD“, wie die Moderatorin eingangs formulierte, war ziemlich oft eine Uff-uff-Sendung. Frisch zu neuen SPD-Parteichefs gekürt sollten sich Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken erklären. „Wollen Sie es knallen lassen?“, schleuderte ihnen fragend „Cicero“-Chefredakteur Christoph Schwennicke entgegen. Gemeint war die große Koalition.

Die neue SPD-Doppelspitze lässt bei "Anne Will" vieles offen

Tja, wollen sie es knallen lassen? Walter-Borjans und Esken drückten sich. Die Art ihrer Antworten pendelte zwischen nebulös und schwammig. Nein. Vielleicht. Inhalte sind uns wichtig. Themen in den Raum stellen. Nachjustieren. Den Koalitionsvertrag updaten. Aber wie? CDU-Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer will ausdrücklich weiter nur „auf der Basis des Koalitionsvertrages“ arbeiten.

An dieser Stelle kommt ein kleiner semantischer Trick ins Spiel, den bereits Juso-Chef Kevin Kühnert kurz zuvor, in der ZDF-Sendung „Berlin direkt“, skizziert hatte. Stichwort: Revisionsklausel. Im Koalitionsvertrag wurde nämlich festgehalten, dass die Regierung „aufgrund aktueller Entwicklungen neue Vorhaben“ vereinbaren kann. Was „aktuelle Entwicklungen“ und „neue Vorhaben“ aber sind, wird offen gelassen.

Das Wort „Revisionsklausel“ werden wir in den kommenden Tagen also ziemlich oft hören. Denn es erlaubt bei wohlwollender Interpretation Gespräche, Sondierungen, die Bildung von Arbeitsgruppen, womöglich sogar Verhandlungen über Themen, die im Koalitionsvertrag nicht abschließend geregelt sind, diesem aber auch nicht explizit widersprechen. Die Revisionsklausel ist der letzte Strohhalm, an dem die neue SPD saugt. Es tut weh, ihr dabei zuzusehen.

Die neue SPD-Führung: Eine Sackgasse voller Widersprüche

Vor einem Monat war Halbzeitbilanz der großen Koalition. Man klopfte sich gegenseitig auf die Schultern, lobte einander und war rundum zufrieden. Allerdings sehen das jene, die die SPD künftig führen werden, fundamental anders. Eine riesige „Kluft zwischen Partei und Fraktion“ tut sich da auf, wie Ursula Münch von der Bundeswehr-Universität  München zu Recht bemerkte. Seinen Konter wiederholte Walter-Borjans gleich dreimal: Die SPD-Mitglieder wollten sich nicht länger „von oben herab“ sagen lassen wollen, was und wen sie richtig finden.

Das Votum der SPD-Parteibasis über ihre neue Führungsspitze war in der Tat eindeutig: Es richtete sich gegen das Partei-Establishment und gegen die große Koalition. Daraus einen Arbeitsauftrag abzuleiten, der wieder in „mühsam errungenen Kompromissen“ endet, was sich mit Fug und Recht als ein weiteres  Weiter-so beschreiben lässt, ist verwegen, ja tollkühn. Ihre Unentschiedenheit, die Walter-Borjans und Esken rhetorisch nicht kaschieren können – zwischen dem Nicht-Platzen-lassen-Geflehe und den Endlich-raus-Forderungen -, mündet in einer Sackgasse voller Widersprüche.

Auch Armin Laschet, CDU-Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, sieht keinen Raum für essentielle Neuverhandlungen mit der SPD. Seine eigene Partei steht unter Druck der konservativen Werteunion. Der bestehende sei ohnehin „ein linker Koalitionsvertrag“. Stattdessen empfiehlt Laschet dem neuen SPD-Duo „die Erfolge einer Regierung nicht kleinzureden, der sie selbst angehören“.

Uff, uff. Es dürfte nicht oft in der bundesdeutschen Parteiengeschichte geschehen sein, dass eine Partei, die nicht weiß, was sie will, durch die Wahl einer neuen Führung noch weniger weiß, was sie will. Wer jetzt ungeniert weiter von „Pflichtbewusstsein“, „Verantwortung“, „Stabilität“ und „Kontinuität“ redet, um die Daseinsberechtigung der großen Koalition zu unterfüttern, hat nichts verstanden, gar nichts. Manchmal berühren existenzielle Krisen tatsächlich die Existenz einer Partei. 

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