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„Wir sind nicht die Caritas“, wird Firmenanwältin Nora Shaheen (Lorna Ishema) eingebläut. Tatsächlich verbirgt die Unternehmerfamilie Lindemann ein dunkles Geheimnis, dem die Justiziarin auf die Spur kommt.

© ZDF/Frank Dicks

Neue TV-Serie „Breaking Even“: Im Fahrstuhl des alten Geldes

Die Neo-Serie „Breaking Even“ erzählt die Geschichte einer Industriellenfamilie im Kampf mit der Gegenwart - und sich selbst.

Falls sich Bildschirm-Menschen im Fahrstuhl begegnen, sind das selten rein zufällige Treffen Wildfremder; meist dienen sie höheren Film- oder Fernsehzwecken – dafür muss noch nicht mal jemand darin steckenbleiben wie Götz George 1984 in „Abwärts“. Ob Beichtstuhl oder Blackbox, Todesfalle oder Umkleideraum, Rückzugsort oder Liebesnest – der fiktionale Lift, stellt Andreas Bernard in seiner kleinen „Geschichte des Fahrstuhls“ fest, besitze „die Struktur eines Theatervorhangs“, hinter dem die Figuren der Geschichte gelegentlich Stellung beziehen.

Auch, als die junge Wirtschaftsanwältin Nora Shaheen (Lorna Ishema) gleich zu Beginn von „Breaking Even“ im Firmenfahrstuhl nach oben fährt, sagt die kurze Begegnung mit der Putzfrau desselben Konzerns daher trotz aller Beiläufigkeit etwas Grundsätzliches aus über den Sechsteiler, der am Mittwoch bei ZDFneo startet. Normalerweise hätten beide nämlich grundverschiedene Herkunftsbiografien und wahrscheinlich auch Hautfarben. Hier jedoch sind Upper und Working Class beide People of Colour, also entsprechend irritiert, dass es die eine nach ganz oben geschafft hat, die andere aber weit unten bleibt.

[„Breaking Even“ läuft auf ZDFneo am Mittwoch um 20 Uhr 15]

Aufwärts oder abwärts – so lauten auch darüber hinaus zwei Kernthemen einer Familiensaga, die nur äußerlich an fiktionale Dynastien von Krupp über Benz bis Wagner erinnert. Oberflächlich geht es darin um den Automobilhersteller Lindemann, dessen Vorstandschef und Unternehmenserbe (Justus von Dohnányi) pünktlich zum 100. Firmenjubiläum den autonom fahrenden Lind1 präsentieren will. Nach Jahren sinkender Absatzzahlen soll er das Unternehmen zukunftsfähig machen – da verursacht Benedikts Tochter Charlotte (Linda Berlin) einen tödlichen Unfall mit dem Prototyp, was keinesfalls an die Öffentlichkeit geraten darf.

Als Hausjustiziarin Nora die Hinterbliebenen des Opfers daraufhin mundtot machen soll, stößt sie jedoch auf ein Familiengeheimnis, das mit Holocaust und Nationalsozialismus, Erbschleicherei und Wirtschaftskriminalität, Kabale und Liebe, Mord oder Totschlag zu tun hat, also gewohnt dicke Bretter bohrt – würde Headautor und Regisseur Boris Kunz nicht Verblüffendes darunter zutage fördern. Inmitten all der Intrigen einer menschlich deformierten Sippe, die neben der machtgierigen Skandalnudel Max (David Rott) bizarre Figuren wie das traumatisierte Entführungsopfer Victoria (Sandra Borgmann) oder den linksradikalen Enkel Kosta (Rafael Gareisen) aufweist, liefert „Breaking Even“ nämlich auch eine schlüssige, oft spannende, insgesamt sehenswerte Erzählung über den sterbenden Industriestandort Deutschland im Abwehrgefecht mit der globalisierten Moderne.

Lorna Ishemas unprätentiöses Spiel

Und die zeigt sich nicht nur in Gestalt der dunkelhäutigen Nora, deren Familie endlich mal mit keinem der fernsehüblichen Migrationsprobleme von Gewalt bis Armut zu kämpfen hat und vom früheren Ensemblemitglied am Deutschen Theater Lorna Ishema angenehm unprätentiös gespielt wird. Noch stärker verkörpert sie die Öko-Aktivistin Jenny (Sinje Irslinger), deren jugendliche Renitenz authentischer wirkt als in jeder vergleichbaren Produktion und dennoch nur Fassade ist – schon, weil sie (man ahnt das bereits früh) weit mehr mit den Lindemanns verbindet als Hass auf deren Erwerbsmodell.

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Beim Zuschauen darf man gern mit krauser Stirn mutmaßen, ob es echt noch so altes Geld gibt, deren Besitzer Dinge wie „arm ist, wer sein Auto auf der Straße parkt“ sagen und darüber streiten, ob der neue Anselm Kiefer farblich zum Bodenbelag im Salon des Herrenhauses passt. Tatsache jedoch bleibt, dass Wirtschafswunderrelikte wie diese tatsächlich beim zuständigen Minister anrufen, wenn mal behördliches Ungemach droht, und auch im Angesicht feindlicher Übernahmen leichthin das Lebenseinkommen ihrer Angestellten für drei, vier Luxusschlitten pro Monat ausgeben. „Wir sind nicht die Caritas“, sagt ein Vorgesetzter mal zur Justiziarin, als sie beim Durchsetzten elitärer Privilegien leise Skrupel anmeldet.

Das Sehenswerte an dieser Serie ist abseits von ein wenig zu viel Pathos in der neofeudalen Figurenzeichnung, wie sie dabei gekonnt die Balance zwischen Sozialneid und Gerechtigkeitsempfinden, ökonomischer Notwendigkeit und selbstreferenzieller Bereicherung hält. Im Fahrstuhl dieser Geschichte jedenfalls fahren alle mal nach unten. Aber oben zu bleiben, das schaffen dann doch nur die wenigsten.

Jan Freitag

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