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Gespenster des Glücks. Kommissar Klaus Borowski (Axel Milberg) und die betörend-verstörende Famke Oejen (Christiane Paul).

© NDR/Christine Schroeder (Montage

Neuer "Tatort" aus Kiel: Im Bett mit Famke

Kein Mensch ist eine Insel: Der Kieler „Tatort“-Kommissar Borowski sucht die Nähe. Zur Verbrüderung zwischen Zuschauer und Axel Milberg wird es allerdings nicht reichen.

Es gibt da im hohen Norden die Rungholt-Sage. Danach wurde die Insel Rungholt im Jahre 1362 von der Sturmflut heimgeholt. Die reichen Einwohner hatten sich versündigt, als sie ein Schwein mit Alkohol abfüllten und den Pfarrer zwangen, dem Schwein die heiligen Sakramente zu geben. Da schickte Gott den blanken Hans, die Insel ging unter, bis heute hört man die Glocken läuten.

Diese Insel heißt Suunholt. Hier findet Famke Oejen (Christiane Paul) ihren Geliebten tot in der Badewanne. Oliver Teuber (Beat Marti) war die Schlüsselfigur in einem Kieler Korruptionsprozess, bevor er spurlos verschwand. Nach Suunholt, Famke Oejen wird sagen, Oliver Teuber sei vom Himmel gefallen. Jetzt ging es nur noch um sie beide, was sollte die Vergangenheit sie bedrängen, wo sie doch die Gegenwart hatten. Amour fou? So oder so ähnlich.

Margit Hilse (Heike Hanold-Lynch), eine ausgemachte Frömmlerin, hausiert mit der Behauptung, mit Teuber (und seinem Schmiergeld) sei der Teufel auf die Insel gekommen. Nicht nur Famke, sondern die Männer, die Famke verfallen, würden Grenzen überschreiten. Schon dräuen sich die Wolken am Himmel, die Atmosphäre lädt sich bedrohlich auf. Mit dem Auftauchen von Kommissar Borowski (Axel Milberg) dringt das Rationale ins Hochemotionale ein.

Obwohl: Dass die Verdächtige und der Polizist eine Nacht in seinem Bett verbringen, ist das Kalkül oder ist das die gewollte Nähe zweier Einsamer? Borowski ist Profi, ein Parteigänger der Logik, er lässt sich nicht in die Karten schauen – auch nicht vom Zuschauer. Im 31. „Tatort“ aus Kiel gelangt die Ermittlerfigur zu neuer Kontur, neuer Spannung. Wenn der Spruch stimmt, dass kein Mensch eine Insel sei, dann ist Borowski eine Inselkette.

Erotik kann auch eine Haltung sein

Es sterben noch einige Menschen auf Suunholt, einer wird von seinen Schweinen totgefressen. Der „Tatort: Das Land zwischen den Meeren“ gibt der rauen Aura der Meereslandschaft eine wichtige Rolle, er agiert mit dieser Wuchtigkeit und er reagiert darauf. Die Drehbuchautoren Peter Bender, Ben Braeunlich und Sven Bohse (der auch Regie führt) gehen in die Vollen, ihr bester Freund ist das Extrem. Aberglaube, Gedächtnisverlust, bedingungslose Liebe, religiöser Wahn, Träume, Natur- und andere Gewalt, Todes- und Mordfälle, gespiegelt in den Rand- wie in den Kernfiguren – das ist „Tatort“-Kino, bei dem auch Traumsequenzen nicht fehlen.

Wer jetzt hinter jeder Filmminute die Sinnfrage stellt, der kann das machen, er wird sich aber um die Emotionalität der Geschichte und ihrer Protagonisten bringen. Es muss, wenn eine Story so erzählt wird, nicht alles protokollarisch genau aufgeklärt werden.

Je länger der Krimi dauert, desto mehr geraten Famke Oejen und Klaus Borowski ins Zentrum. Die Küsten-Sirene, die die Männer in ihren Bann zieht, der Kommissar, der seinen Drang nach menschlicher Nähe spürt und doch der Distanz als finales Mittel der Ermittlung den Vorzug zu geben hat.

Regisseur Sven Bohse sucht, präferiert die Überhöhung. Gut, nicht wenige Figuren sind schon dergestalt angelegt, und doch zieht Bohse die Regler nochmals hoch. Gerade bei der fanatischen Kirchenfrau und ihrem stummen, unehelichen Sohn finden sich dann entspannende Witzpartikel, zugleich die Inszenierung der Gefahr widersteht, die beliebte Karikatur vom schweigsamen, drögen, verschrobenen Küstenmenschen, dem der boshafte Gott wenig Verstand, aber viele Schweine und großen Durst gegeben hat, ein weiteres Mal auf den Bildschirm zu zeichnen.

Es gibt, wie in der Polizistin Maren Schütz der Anna Schimrigk, überzeugendes Schauspiel, und es gibt in Christiane Paul und Axel Milberg herausragende Darstellerkunst zu bewundern. Die Paul kombiniert in ihrer Borderline-Famke Sprödigkeit und Sinnlichkeit; was immer nach festverfugter Fassade aussehen mag, bekommt jene verführerischen Sprünge, die sich zu großer Anziehungskraft weiten. Erotik kann auch eine Haltung sein.

Axel Milberg ist ihr ebenbürtig. Nicht als Widerpart, sondern als Borowski, als Mensch, der sich in einer Grenzsituation wiederfindet. Der Zuschauer kommt diesem Kommissar näher als sonst, vielleicht weil Borowski ohne Partnerin ermittelt. Zur Verbrüderung zwischen Zuschauer und Borowski wird es nicht reichen, da ist Milberg vor. Liebe, ihre Spiel- und ihre Todesarten, darum geht dieser „Tatort“.

„Tatort: Das Land zwischen den Meeren“, ARD, Sonntag, 20 Uhr 15

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