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360-Grad-Bilder. Selbst preiswerte VR-Brillen aus Pappe bieten eine komplette Rundumsicht in 3-D. Voraussetzung sind spezielle Kamerasysteme.

© AFP

Neuestes Gadget: VR-Brillen: Nicht von Pappe

Die Werbung entdeckt die virtuelle Realität. Möglich machen dies preiswerte VR-Brillen zum Selbstbau. Das macht auch Essen im Dunkeln zum Genuss.

Auf der Ifa in Berlin Anfang September werden sie wieder zuhauf zu sehen sein: Menschen mit futuristisch anmutenden Brillen vor den Augen, die sich durch die Virtuelle Realität (VR) bewegen, die nur sie allein sehen können. Die meisten dieser Brillen befinden sich noch in der Entwicklung. Einige sind jedoch bereits Realität. Statt teurer Speziallösungen verwenden sie das eigene Smartphone. Es wird in eine Halterung eingeklemmt, die wie eine Art Taucherbrille vor die Augen gehalten oder mit elastischen Bändern befestigt wird. Der Bildschirm des Smartphones wird für den 3-D-Effekt in ein linkes und ein rechtes Bild geteilt. Der Qualität der Bilder sind mit den Smartphones zwar Grenzen gesetzt, aber um einige Fotos oder Filme anzusehen oder ein 3-D-Game auszuprobieren, reicht es allemal. Gegen den Dauereinsatz dieser Lösung spricht allerdings, dass die Smartphones auf die Kopfbewegungen mit Verzögerung reagieren, was zu Schwindel und Kopfschmerzen führen kann.

Besonders perfekt funktioniert das Zusammenspiel zwischen dem Samsung-Smartphone Galaxy Note mit seiner besonders hohen Auflösung und der VR-Brille Samsung Gear VR, die bereits auf der Funkausstellung im vergangenen Jahr präsentiert wurde. Die Kopfhörer sind in die Brille integriert und werden kabellos über Bluetooth angeschlossen. Allerdings hat dieser Spaß den stolzen Preis von 199 Euro.

Die Preise für die Cardboards beginnen bei zehn Euro

Doch es geht auch billiger. Die Idee für die Einfachlösung hatte Google mit dem sogenannten Cardboard. Die Brille besteht im Wesentlichen aus Pappe und zwei Linsen. Statt eingebauter Lautsprecher werden die normalen Smartphone-Kopfhörer verwendet. Die Preise für die Cardboards beginnen bei zehn Euro. Etwas professioneller sieht die Andoer Universal 3D VR-Brille aus Plastik für rund 20 Euro aus. Der Vorteil: Die Brille ist etwas haltbarer konstruiert, der Pupillenabstand ist einstellbar und sie verfügt über elastische Bänder für die Kopfhalterung.

Inzwischen ist die Werbeindustrie auf die Möglichkeiten der preiswerten 3-D-VR-Brillen aufmerksam geworden. Mit speziellen Apps lassen sich virtuelle Testfahrten im Jeep Wrangler oder im Dodge Challenger, aber auch mit Modellen von Mercedes und Volvo machen. Die Mitfahrten erfolgen aus der Beifahrerperspektive. Zudem ist mit der Rundumsicht spätestens an der Kopfstütze Schluss.

Auch die auf Erlebnisgeschenke spezialisierte Münchener Firma Meventi hat die VR-Technik für sich entdeckt. Geschäftsführer Alexander Will glaubt fest daran, dass VR-Brillen das nächste große Ding in der Werbewirtschaft sein können. Allerdings nur dann, wenn sie nicht nur „nice to have“ sind, sondern dem Anwender einen konkreten Nutzen bringen. Im Fall von Meventi ist dieser nicht nur konkret, sondern zugleich auch emotional. Zu den Topsellern der Erlebnis-Geschenke gehören neben Fallschirmsprüngen oder Ballonfahrten Übernachtungen im Iglu oder Mitfahrten in Formel-1-Autos. Das verbinden die Münchener mit ihrer VR-Pappbrille, die sie vju.box (gesprochen View-Box) genannt haben. Sie kann dem Beschenkten anstelle einer normalen Geschenkbox oder eines Gutscheins überreicht werden. So kann sich der Glückliche bereits vor dem eigentlichen Event ein dreidimensionales 360-Grad-Bild seines Geschenks machen.

Denn nur 3-D war gestern, mit dem VR-Brillen kann man sich frei im Raum bewegen. Dreht der Träger der Brille seinen Kopf beispielsweise um 180 Grad, so sieht er auf dem Display, was sich in der virtuellen Welt hinter ihm befindet. Das erfordert bei der Aufnahme spezielle Kameras, die den kompletten Raum erfassen. Dazu gehören im besten Fall auch alle Dinge, die sich unter oder über dem Standpunkt befinden.

Videos aus der Perspektive des Beschenkten

Die Erlebnis-Anbieter von Meventi haben bislang rund 100 Angebote mit 360-Grad-Standbildern erfasst. Bis Ende des Jahres soll das Angebot um bewegte Bilder ergänzt werden. Eine Besonderheit soll dabei sein, dass die Videos aus der Perspektive des Beschenkten gefilmt werden. Technisch ist der gesamte Prozess nicht ganz trivial. Denn um in diesem Zukunftsmarkt auch zukunftsfähig zu sein, sollen die 360-Grad-Videos in 8K-Qualität aufgenommen werden. Zum Verständnis: Auf der Ifa in Berlin zeigen die TV-Gerätehersteller den HD-Nachfolger 4K, auch Ultra-HD genannt. 8K-Videos enthalten dabei doppelt so viele Bildinformationen. Die Displays von Smartphones sind davon zwar derzeit noch meilenweit entfernt, doch das Meventi-Beispiel zeigt, wohin die Reise gehen könnte. Dann allerdings nicht mit VR-Brillen aus Pappe, sondern mit den Profilösungen, die sich noch in der Entwicklung befinden.

Auf die ausgewachsenen VR-Brillen für Videospieler muss allerdings noch etwas gewartet werden. Bei den VR-Brillen begeistern vor allem drei Modelle die Gamer: Oculus Rift vom Facebook-Zukauf Oculus VR, Project Morpheus von Sony sowie Vive von HTC und Valve. Der deutsche Hersteller Zeiss arbeitet an einem Modell namens VR One. Vive soll noch 2015 auf den Markt kommen. Oculus Rift und Project Morpheus erscheinen voraussichtlich 2016, bereits jetzt arbeiten Dutzende Games-Studios an VR-tauglichen Spielen.

Ein anderes Konzept verfolgt Microsoft mit den Hololens. Hier wird das virtuell erzeugte Bild mithilfe einer halbtransparenten Brille über die Wirklichkeit gelegt. Man spricht von erweiterter Realität oder Augmented Reality. Die Hololens sind nicht nur für Spiele und Unterhaltungszwecke verwendbar, sondern auch für die Produktion beispielsweise von Automobilen. Jede Veränderung am virtuellen Konzept kann sofort so betrachtet werden, wie es später in der Realität aussieht. Die nötigen Schnittstellen für die Hololens befinden sich dabei bereits in Windows 10.

„Dinner in the Dark“

Bereits jetzt finden sich in den App-Stores von Apple und Google zahlreiche Programme mit Bibliotheken von Fotos und Filmen in VR-Technik. Ein guter Einstieg für iPhone-Besitzer ist die App VRSE, über die diverse VR-Filme auf das Smartphone geladen werden können. Für Android-Nutzer ist die App Cardboard die erste Wahl. Hierüber gelangt man auf einfache Weise in den Youtube-Channel für 360-Grad-VR-Videos oder kann in Google Earth oder Google Streetview eintauchen.

Ein besonderes Erlebnis-Geschenk ist Will zufolge das „Dinner in the Dark“, ein Essen in völliger Dunkelheit, sodass man sich voll und ganz auf den Genuss der Speisen konzentrieren kann. Selbst so etwas lässt sich mit einer VR-Brille erfahren – allerdings mit einem kleinen Trick. Für die Aufnahme wurde eine Infrarotbrille verwendet, die auch auf die Wärme des Körpers und der Speisen reagiert. Der Fantasie sind in dieser neuen Werbeform offensichtlich wenig Grenzen gesetzt wie der technischen Entwicklung.

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