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Medien: Nichts als die Wahrheit

Peter Arnett rechtfertigt das Interview, das er Iraqi TV gab, im „Daily Mirror“. Die Zeitung ist sein neuer Abnehmer

Von Barbara Nolte

Er habe doch nur die Wahrheit gesagt, verteidigt sich Peter Arnett. Experten aus allen Ländern sagten doch mehr oder weniger dasselbe: Dass „der erste US-Kriegsplan wegen des irakischen Widerstandes“ gescheitert sei und dass „die USA es mit einem neuen Plan versuchen“ müssten.

Das Besondere: Arnett war mit dieser Einschätzung im irakischen Staatsfernsehen zu hören. Er habe den irakischen Kollegen „aus bloßer Höflichkeit“ dieses spontane Interview gegeben, erklärt er, „die haben mir ja auch tagelang Interviews gegeben“. Er sagte, was er dachte: „Wenn weiterhin so viele Iraker sterben, bringt das die amerikanische Politik in arge Bedrängnis.“ Womöglich ist es ja auch die Wahrheit, doch das reichte seinen Auftraggebern nicht als Entschuldigung. Egal, ob es stimmt: Diese Sätze würden die Iraker in ihrem Widerstand bestärken. Peter Arnett erlebte, was er „mein Waterloo“ nennt. Erst kündigten ihm die Sender MSNBC und NBC. Gestern dann auch noch das Magazin „National Geographic“: Das Interview sei nicht abgesprochen gewesen. In England fand Arnett einen neuen Abnehmer für seine Reports: den „Daily Mirror“, der den Neuzugang gleich zur Schlagzeile machte: „Von Amerika gefeuert, weil er die Wahrheit sagte … vom ,Daily Mirror’ angeheuert, damit er weiterhin die Wahrheit sagt.“

Peter Arnett, 68, zählt zu den erfahrensten Kriegsberichterstattern der Welt: Zwischen 1962 und ’75 arbeitete er als AP-Korrespondent in Vietnam; für seine Reportagen bekam er den Pulitzerpreis. Zu seinen Scoops zählt außerdem ein Interview mit Osama bin Laden. Seine internationale Prominenz erwarb er sich aber im Golfkrieg von ’91. Damals berichtete er als einziger westlicher Reporter von einem Hoteldach aus über die Bombardierung von Bagdad. Im Golfkrieg erfuhr Arnett auch zum ersten Mal, was passiert, wenn die Wahrheit mit US-Kriegszielen kollidiert. Die Iraker hatten ihn zu Kriegstoten geführt, die er filmte. Das hat ihm in der US-Politik bis heute viele Feinde eingebracht. CNN musste er 1999 verlassen, nachdem er einen Film mit Vorwürfen über die US-Militärs präsentiert hatte, die sich als haltlos erwiesen. Seitdem reist er zu vielen Vorträgen, profiliert sich als kritische Stimme gegen den „patriotischen Journalismus“, den die US-Regierung nach dem 11. September ausgerufen hat. „Ein Unsinn“, findet Arnett. Wenn Amerika aber wieder Krieg führt, wie in Afghanistan, hält ihn nichts mehr in den Vortragssälen oder in seinem Appartement in New York, dann sucht er sich wieder Auftraggeber. Nicht CNN, denn mit denen gab es bis heute keine Versöhnung. „Für die habe ich sowieso nicht mehr genügend Haare auf dem Kopf“, sagt er. Für den Irakkrieg engagierte ihn MSNBC – bis zum umstrittenen Interview.

War es Arnetts Fehler? Fühlte er sich nicht mehr als Journalist sondern als Sonderbotschafter? Die deutschen Kollegen sagen Nein. Die Affäre Arnett zeige vielmehr, unter welchem Druck die US-Journalisten stünden, meint der Koordinator für die Kriegsberichterstattung beim ZDF, Matthias Fornoff. „Wir würden unseren Korrespondenten nicht zurückberufen, weil er in Iraqi TV etwas sagt, was nicht ganz der ZDF-Linie entspricht.“ Erst hatte auch MSNBC Arnett verteidigt. Doch das Weiße Haus soll Druck gemacht haben. Die englische Boulevard-Zeitung „Daily Mirror“ will sich jetzt mit Arnett als Anti- Kriegs-Blatt profilieren. Und das nicht nur, weil er die Wahrheit sagt, wie es in der Schlagzeile heißt, sondern weil er auch gute PR ist. Außer dem „Mirror“ und dem „Independent“ sprechen sich übrigens alle großen britischen Zeitungen für den Krieg aus. Wie lange aber der „Mirror“ seinen neuen Mitarbeiter behält, ist noch unklar. Am Dienstag schrieb Arnett: „Ich habe mich noch nicht endgültig entschieden, ob ich nicht doch Bagdad verlasse.“ Er scheint geschockt zu sein. „Es tut mir wirklich leid“, sagt er, „dass ich mit meiner Äußerung so einen Sturm ausgelöst habe.“

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