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Nach der Tat. Nägel aus der selbst gebastelten Bombe des Terrortrios waren nach dem Anschlag im Juni 2004 in alle Richtungen geflogen.

© dpa

NSU-Morde: Untaten und Unworte

"Döner-Morde", das war das Unwort des Jahres 2011. Die Verwendung des Begriffs hat den Blick der Medien auf die Verbrechen der NSU-Täter verstellt, wie eine Studie ergibt.

Ihre Studie „Die Berichterstattung über die NSU-Morde – eine Medienkritik“ überschreiben die Journalismus-Forscherinnen Elke Grittmann (Lüneburg) und Tanja Thomas (Tübingen) und Rechtsextremismus-Experte Fabian Virchow (Düsseldorf) mit „Das Unwort erklärt die Untat“. Jahrelang wurden die Gewalttaten von Journalisten und Polizei als „Döner-Morde“ – das Unwort des Jahres 2011 – bezeichnet. Das Forscherteam wertete 300 Beiträge und 290 Bilder in deutsch- und türkischsprachigen Printmedien aus, die zwischen September 2000 (als der erste Mord verübt wurde) und Herbst 2011 (als der Zusammenhang mit rechtsextremem Terror bekannt wurde) erschienen sind. Zudem befragten sie Journalisten. Die Otto-Brenner-Stiftung hatte die Studie auf den Weg gebracht, sie finanziert und auch herausgegeben.

Der Befund: Die meisten Medien hinterfragten Deutungen von Strafverfolgungsbehörden seltener als solche anderer gesellschaftlich mächtiger Institutionen. Angehörigen der Mordopfer gegenüber verhielten sich Medien distanzierter als sonst, unterstellten ihnen teils Mitwisserei, ließen sie selten selbst zu Wort kommen und grenzten sie über den Begriff „Döner-Morde“ als „Teil der Anderen“ aus; Regionalzeitungen waren einfühlsamer als überregionale Blätter, türkischsprachige nur leicht weniger voreingenommen als deutsche. Die Selbstreflexion der Journalisten fiel pauschal und zaghaft aus – ein Signal einer alarmierenden Medienblindheit, die das Versagen der Ermittler und der Nachrichtendienste beförderte.

Journalisten müssen generell kritischer hinschauen, nachfragen, alternative Quellen nutzen und ihre Thesen selbstreflektierend prüfen. Nur so bewahren sie sich vor Stereotypen, Klischees und davor zu vergessen, dass ihre Kernaufgabe ist, ein Forum für einen öffentlichen Diskurs zu ermöglichen, an dem alle teilhaben. Nur so bürgen sie für Qualität, Relevanz und Glaubwürdigkeit. Anders gesagt: Wir alle brauchen den differenzierten und den differenzierenden Blick – durch die Medien und auf die Medien.

Marlis Prinzing

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